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Jerry Zeniuk


Wenn in der Kunst mehr Sinnlichkeit gefordert wird, dann sind die Stellungnahmen regelmäßig von verschiedenen Ressentiments durchsetzt. Die damit einhergehende Unklarheit, worüber man eigentlich debattiert, wird zudem gerne von jenen Gruppierungen oder Positionen ausgenützt, die auf die Vorteile eines verunsicherten Publikums als verführbarer Klientel bedacht sind.
Trotzdem liegt in der Forderung nach einer Kunst, die dem Bedürfnis nach Anschaulichkeit und Nachvollziehbarkeit entgegenkommt, ein wahrer und wichtiger Kern. Aber es resultieren daraus noch keine Kriterien dafür, wie Kunst auf der Ebene der Wahrnehmung operieren muß, wenn sie mehr als ”Wattebäusche für die Augen” (Enzensberger) sein will.
Anhand der Malerei von Jerry Zeniuk läßt sich zu dieser Frage einiges sagen. Sie bietet sich dazu umso mehr an, als sie auf dem Boden des Modernismus entstanden ist. Diesem ging es bekanntlich in den Worten seines Hauptvertreters, Clement Greenberg, darum, die Kunst beweisen zu lassen, daß die von ihr gestiftete Erfahrung einen ganz eigenen Wert besitzt, der durch keine andere Operation ersetzt werden kann. Heute ist diese Position bereits Geschichte, und auch einige ihrer Erben lassen ihre einstigen Versprechen inzwischen als unerfüllte zurück. Vielleicht ist es daher interessant die Spur eines Malers aufzunehmen, der zwar im New York des Modernismus seine Karriere begonnen, sich dann aber abseits vom Zeitgeist weiterentwickelt hat.
Zeniuk malte seine ersten Bilder in Anknüpfung an den in jener Zeit verbreiteten Trend der Monochromie. Die Idee eine Farbe als Malerei nur dann zu ihrer vollen Geltung bringen zu können, wenn sie in vollkommener Reinheit präsentiert wird, dürfte jedoch schon damals etwas allzu Gewolltes angehaftet sein. Zeniuk entschließt sich daher, auf die Suche nach differenzierteren Möglichkeiten zu gehen, die ihn zu den optisch intensiven Fleckenmustern eines Monet oder Cézanne zurückführt. Was zunächst wie experimentell gefertigte, vergrößerte Ausschnitte aus impressionistischen Gemälden wirken mag, und dabei einer gewissen Sentimentalität nicht entbehrt, weicht jedoch bald einem expressiveren Umgang sowohl mit der Farbe, als auch mit der Form der Flecken, die sich zunehmend impulsiv gegenüber den streng statischen Bedingungen der durchweg beibehaltenen rechteckigen Tafel sowie den Regeln zweidimensionaler Abstraktheit verhalten.
In den Münchner Bildern, die die Ausstellung in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus zeigt, lassen sich von den ursprünglichen ”Patterns” nur noch Spuren erkennen, vor allem auf zwei Bildern von 1992 (Nr. 161 und 162), die an stark reduzierte Landschaften denken lassen. Es dominieren horizontal geschichtete Farbflächen, die aufgewühlte Erdschollen sein könnten, aber als aufeinander Bezug nehmende Elemente den flüssigen Charakter der Ölfarbe ebenso zur Geltung bringen, wie die Intention des Malers, das triviale Grundkonzept sich wiederholender Elemente hinter sich zu lassen. An den Rändern und in den Ecken wiederum wird die Spannung zwischen dem Wunsch nach Überschreitung und einem präzisen Bewußtsein der Grenzen, in denen er sich nur artikulieren kann, nicht verwischt. Nie verliert sich eine Geste ins Irgendwo jenseits der Malfläche; Unendlichkeit wird gerade dadurch konkret erfahrbar als Vielzahl möglicher Bezüge zwischen den polymorphen Farb- und Flächenelementen, über deren Differenz und Wiederholung.
Damit sind wesentliche Züge der Entwicklung, die anhand von ca. 50 Ölgemälden dokumentiert wird, bereits angesprochen. Zeniuk setzt im Laufe der Zeit zu immer gewagteren Gesten und Farbkontrasten an, verläßt aber nie den Rahmen, den das zweidimensionale Rechteck mit seinen immanenten Möglichkeiten vorgibt. Wie zur Bestätigung dieser Bedingung zunehmender Souveränität wechseln die Arbeiten, in denen ganz unkontrollierte Einfälle zu dominieren scheinen, mit eher zurückhaltenden Kompositionen ab, die - noch betont durch die vorrangige Verwendung reiner Grautöne - eine Art Fundament visueller Präsenz abgeben, auf dem bereits minimale Akzente enorme Intensität entfalten können.
Nicht nur mit den Extremen, in denen sich diese Malerei bewegt, auch mit der Sorgfalt, die in der Bemühung um Erschließung auch der emotionalen und irrationalen Regungen, die mit Form und Farbe gegeben sind, und sich nicht in auch noch so ausgeklügelte Schemata restlos einordnen lassen, überwindet Zeniuk die Beschränkungen, unter denen der Modernismus als Paradigma einer Epoche gelitten hatte.
Ähnlich wie Brice Marden durchbricht Zeniuk die Schranken des Modernismus an der Stelle, wo es darum ging, sich an einer wissenschaftlichen Laborsituation zu orientieren, um einen Anspruch auf exklusive Geltung legitimieren zu können. Inzwischen sind Concept Art und Minimalismus genauso ins Stadium völligen Einvernehmens mit der Machtelite getreten, wie auf der anderen Seite die spektakuläre Wiederentdeckung figurativer Kunst nur mehr ermüdend Konventionelles bietet, so daß dieser andere Weg als interessante Außenseiterposition erscheint. Weder wird man dabei von einer Disziplin eingeschüchtert, die letztlich nur von sich selbst handelt, noch korrumpieren mythische Überfrachtungen aller Art die vordergründige Autonomie dieser Kunst und geben sich schließlich mehr oder weniger unverhohlen als die notwendige Erscheinungsform von Waren zu erkennen. Zeniuk konzentriert sich demgegenüber auf seine individuelle Befindlichkeit, aber in einer Intensität und mit einer Sorgfalt, die alles Klischeehafte und Theatralische hinter sich läßt. Wenn sich so etwas Komplexes und Wechselhaftes wie Intuition oder Eigenheit in der Art und Weise reflektieren soll, wie Farben auf einer Fläche verteilt werden, lösen sich die Bezugspunkte objektiver Gewißheit bald auf. Die Auflösung ist aber keine Sache eines Handstreichs, der nur einen Wiedereintritt der begrifflich vorgefaßten Absicht ins Resultat bewirken würde, sondern Sache einer Organisation kontingenter Elemente, die miteinander kombiniert und untereinander differenziert werden in derselben Logik, die unsere Wahrnehmungen und Gefühle ermöglicht. Charakteristisch für diesen Prozeß ist das Merkmal der Rekursivität. Es geht nicht darum, was eine Form oder eine Farbe als Essenz vorgeblich bedeutet, sondern darum, wie sie jeweils in neue Verbindungen gebracht wird, und was sie dabei als strukturelle Eigenschaft weiterverwertet – beziehungsweise wieder aufhebt.
In der Begrifflichkeit Luhmannscher Systemtheorie ließe sich das so formulieren:
Als beobachtendes System, das sich selbst beobachtet, und sein Medium dabei zu transzendieren versucht, läßt sich der Akteur – und das kann auch der interessierte Betrachter sein – von den Eigenarten dessen leiten, was er bereits geschaffen bzw. nachvollzogen hat. Die Bemühung den imaginären Strom kontingenter Formen derart zu organisieren, daß die resultierende Struktur zur Verarbeitung von Komplexität taugt, ist so betrachtet nichts anderes als ein lebendiger Prozeß. Und sogar der souveräne Griff ins Formlose, der die Befangenheit in den eigenen Voraussetzungen abwirft, kann als operativer Grenzwert einer Verflechtung von sich teilweise aufhebenden Formen begriffen werden.
Es sind damit selbstverständlich nur einige Punkte angesprochen, die die Problematik einer künstlerischen Antwort auf die Frage nach sinnlichen Erfahrungen betreffen. Ein ganz eigenes Kapitel wäre der Umgang mit Farbe, deren Wahrnehmung tief in unsere Lebenszusammenhänge verflochten ist. Wenn man erkennt, welche Anstrengung es bedeutet, eine Welt zu konstruieren (in diesem Fall im Medium der Malerei), oder sie sich betrachtend anzueignen, kann man allerdings den Glauben an eine erreichbare Lösung für die Gesellschaft frustrierter KonsumentInnen einer anspruchsvollen Avantgarde kaum aufrechterhalten. Wenn auch die Bilder Zeniuks ein Maximum an Reflexion des Tempos und der Intensität, denen wir heute ausgesetzt sind, und daher - bei einem unterstelltem Minimum an Offenheit für abstrakte Farbeindrücke - einen unmittelbaren Zugang bieten, so werden doch erhebliche Zweifel an der Allgemeinheit der Voraussetzungen bestehen bleiben, die es erlauben würden, sich über diesen kurzen Eindruck hinaus auf deren Komplexität einzulassen. Erfreulich ist jedenfalls, daß uns mit Jerry Zeniuk ein Künstler begegnet, der angesichts dieses Widerspruchs weder verzweifelt, noch zum arroganten Zyniker wird.

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Michael Hauffen

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