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das Archiv
Ausstellung zum Symposion über Fotografie XV


Die Entwicklung der Methoden systematischer Datenverwaltung, die sich unter dem Begriff „das Archiv" zusammenfassen lassen, ist als Entwicklung impliziter Voraussetzungen dessen, was wir explizit wissen können, aus der Perspektive reiner Theorie allein womöglich gar nicht angemessen zu beurteilen. Der isolierte und unbeobachtete Beobachter nimmt eine zentrale Stellung in der Struktur moderner Kontrollmechanismen genauso ein, wie in der Vorstellung individueller Erkenntnis. Die Fotografie spielt dabei nicht nur die Rolle einer Perfektionierung des anonymen Blicks, sondern bietet auch ein neues und überraschend vielschichtiges Operationsfeld für künstlerische Praxis. Die Frage ist, inwieweit dabei die Erwartungen nach Dekonstruktion der zum Teil subtil wirkenden Macht archivarischer Strukturen erfüllt werden können.
Kennzeichen gelungener Ausbruchsversuche aus den Systemen der Normierung, in die auch die KünstlerInnen selbst verstrickt sind, ist vielleicht die Verschiebung der Perspektive. Für unsere westlich-mittelständische Kultur wird das etwa an den Bildern deutlich, die Hans Peter Feldmann von einer Freundin gemacht hat: anstatt sich ihrem Körper in Form konventioneller Abbildungen zu nähern, die all das Problematische des männlichen Blicks mit reproduziert hätten, hat er alle ihre Kleider fotografiert und damit die Richtung der Fetischisierung umgedreht, pervertiert in einem heiter kreativen Sinn. Ähnlich geht Leo Kandl vor, der seine eigenen Anzüge als die an Schattierungen reiche und für Assoziationsmöglichkeiten offene Oberfläche vorführt.
Aus einer ganz anderen Gegend, aus Südafrika, kommt David Goldblatt. Dort ist die Gewalt, die mit den Methoden der Überwachung ganzer Territorien einhergeht, noch ganz aktuell, und Goldblatt sammelt ihre Dokumente, wendet damit also eine Dimension des systematischen Beobachtens gegen eine andere an. Jindrich Streit bewegt sich ähnlich im engen Bereich seines Heimatortes (23 Einwohner) in Böhmen, wobei Spuren von Kolonialismus auch hier unverkennbar sind; Henry Bond/Liam McGillick dokumentieren dagegen die Subkultur der Pressefotografen, deren Einfluß auf unser Bild von der Wirklichkeit unklar vielschichtig ist.
Auf der Ebene medialer Simulakren arbeitet Inez van Lamsweerde. Mit ihren übernormierten Laborwesen zielt sie auf das Schockmoment, das uns wegen der Ähnlichkeit unserer Idealvorstellungen mit diesen Gestalten trifft, deren Begehren wie restlos weggefiltert wirkt. Ken Lum geht noch einen Schritt weiter, wenn er den Umgang einzelner Akteure mit Klischees dort aufzeigt, wo in Konflikt mit den Strukturen sozialer Wahrnehmung und deren Stigmatisierungseffekt komplexere Interessen durchgesetzt werden sollen. Lum gelingt es von diesen vorwiegend unbewußt bleibenden πinneren" Kämpfen etwas transparent zu machen, indem er Knotenpunkte (re)konstruiert, wo Denkschemata bzw. πImage" einerseits und Alltag andererseits zusammenstoßen.
Wenn man es auch zunächst für schön komponierte Arrangements von Naturansichten hält: Cor Dera verwendet für seine Tableaux ausschließlich Abbildungen aus Lexika, also existenten Bildarchiven, und ordnet sie in einer oder mehreren Reihen, in der Folge, wie er sie dort findet, an der Wand an. Warum noch fotografieren, wenn es doch unüberschaubar viele Bilder schon gibt, fragte sich auch Christopher Williams schon zu Beginn seiner Karriere und beschloß, kein neues Material zu produzieren, sondern den Umgang damit zu reflektieren und mit Abweichungen zu experimentieren. Bildmaterial ist für ihn oft nur die Spur zu einem Geflecht von Erfahrungen und Überlegungen, das sich ohne die von ihm erzählten Geschichten nicht erschließen ließe. Wenn er also hier das Titelblatt einer Modezeitschrift ausstellt, darf man davon ausgehen, daß es sich nicht um ein gewöhnliches readymade oder platte Medienkritik handelt. Dazu kontrastierend versuchte der früh verstorbene Peter Roehr gerade, alles Individuelle aus seinen Kompositionen zu verbannen und benützte deshalb anonymes Bildmaterial, das er zu seriellen Mustern gruppiert hat, wobei allerdings die Frage aufkommt, ob das nicht eine besonders gut getarnte Art darstellt, den eigenen Absolutheitsanspruch als Künstler zu retten. Andrea van der Straeten nimmt hier eine interessante Zwischenposition ein, insofern sie sich von Werken aus der Kunstgeschichte anregen läßt, Erhabenes in seiner Abhängigkeit von Verdrängtem noch einmal neu zu lesen und zu beschreiben, um so vielleicht die Quellen eines befriedigenderen Selbstgefühls zu erschließen.
Da der jeweilige modus operandi bei den hier angeschnittenen Themen oft wichtiger ist als das fertige Werk, konnte das Konzept, die Ausstellung als Teil eines Symposions zu begreifen, überzeugen. Wenn auch der theoretische Diskurs selbst wieder eigene Zwänge und damit zum Teil berechtigten Widerstand von seiten einiger Künstler produziert, so wirkt sich doch Reflexion und Diskussion der künstlerischen Praxis zumeist positiv aus, wie sich vor allem bei den amerikanischen Referenten (Lum und Williams) gezeigt hat. Von Seiten feministisch orientierter Forschung, konnten die Vorträge von Roberta McGrath und Herta Wolf fundierte Anhaltspunkte für eine Archäologie des Archivs beisteuern. Die Dokumentation von Ausstellung und Symposion wird in einer der nächsten Nummern der Zeitschrift camera austria erscheinen.

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Michael Hauffen

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