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Horizontally/Vertically – On Kawara


Wegen ihres klaren Verzichts in Bezug auf monumentale Größe, Farbigkeit und narrativen Reichtum passen On Kawaras Werkreihen „I GOT UP” und „I WENT” nur schwer in den allgemeinen Trend eine verdinglichte Concept Art dem gesellschaftlichen Spektakel zu implementieren. Sie dürften daher auch seit ihrem Abschluss am 17. September 1979 noch nie in so mächtigem Umfang ausgestellt worden sein. Die einzelnen Blätter von „I WENT” befinden sich normalerweise in einer handlichen Zahl von Aktenordnern und haben in einem kleinen Zimmer Platz, während die Postkarten von „I GOT UP” in alle Himmelsrichtungen verstreut sind, nämlich bei den vielen verschiedenen AdressatInnen, denen sie Kawara im Lauf der Zeit zugeschickt hat. Nun finden sich die beiden Werkreihen zu beiden Seiten eines Raumes von 120 Metern Länge versammelt und einander gegenübergestellt: Links hängen in chronologischer Auswahl die gerahmten Blätter (ca. DIN A4) von „I WENT”, rechts liegen die parallel entstandenen Postkarten in einer ebenso langen Doppelreihe von Schaukästen.
On Kawaras Konzept, das er seit seiner Reise nach Mexiko im Mai 1968 penibel ausgeführt hatte, bestand darin, jeden Tag seine Bewegungen auf Kopien von Stadtplänen oder Landkarten mit roter Tinte aufzuzeichnen, sowie zwei Postkarten an FreundInnen zu schicken, auf die der Zeitpunkt gestempelt ist, wo er das Bett verließ.
Wenn man danach sucht, was diese zwanghaften Rituale diesseits religiösen Nihilismus, genialer Attitüde oder exzentrischer Skurrilität interessant machen könnte, dann fällt der Blick auf die vielen Reisen, den häufigen Wechsel der Aufenthaltsorte, den sie dokumentieren. Die Zahl von zirka 75 verschiedenen Städten, die Kawara im Rahmen seines Konzepts bereist hat, könnte ihn als eine Art Prototyp des postmodernen Nomadismus erscheinen lassen, um so mehr wie er als in den U.S.A. residierender Japaner immer schon eine Art Migrantendasein führt. Betont wird dieser Aspekt noch dadurch, dass Kawara für seine Postkarten durchweg typische touristische Motive auswählt, und sich damit dem globalen Standard repräsentativer Symbole unterwirft. Anders sieht es jedoch bei seinen Wegen in die Stadtlandschaften aus, wo vorwiegend individuelle Ziele angepeilt werden. Hier – wie auch in der Abfolge der besuchten Städte – steht dem Repräsentativen das Kontingente gegenüber, dessen Motive, Anlässe und Hintergründe unter der Oberfläche quasi-bürokratischer Registrierung dezent verborgen bleiben.
Der Titel der Ausstellung „Horizontality – Verticality” lenkt den Blick auf die Reihe von Perspektiven und ihre Wechsel, die hierbei im Spiel sind. Mit „I GOT UP” wird der tägliche Übergang von der liegenden in die aufrechte Körperhaltung markiert, in der dann auch die Bewegungen durch die Städte vollzogen werden. Bei deren Aufzeichnung liegt das Papier wieder horizontal auf dem Tisch, und ermöglicht einen virtuellen vertikalen Blick auf die vollzogenen Gänge und Fahrten. Die Perspektive des Nomaden, die nach vorne gerichtet ist und von der der Ansichtskarten verdoppelt wird, wo es in der Regel um frontale Ansichten von Gebäuden und Straßenfluchten geht, kreuzt sich mit der des Lesenden, die im übrigen auch der des Schlafenden und Träumenden verwandt sein mag. In der Ausstellung werden beide Perspektiven noch einmal gegeneinander ausgetauscht, wenn die Stadtpläne an der Wand hängen und die Ansichtskarten in ihren Vitrinen liegen.
Keiner der Blickwinkel ist hier der erste oder der letzte, sondern sie sind auf lockere Art miteinander verkettet. So wie damit der Autor aufhört, seine Perspektive den BetrachterInnen aufzudrängen, so gibt er auch ein Beispiel für eine Form der Kommunikation, in der sich heterogene Perspektiven verschränken, und zugleich grundsätzlich disponibel bleiben. Allerdings bleibt durch die Rigidität der selbstauferlegten Regel der Variationsspielraum zu begrenzt, um eine Komplexität zu erreichen, die den alltäglichen Verwicklungen und Potentialen gerecht würde. Damit beschwört Kawara eine modernistische Utopie von Übersichtlichkeit herauf, die sich heute vollends mit dem Traum kontrollierter Normalität verbindet.
Dem entspricht auch die Geste dieser Ausstellung, die enormen Aufwand nicht scheut, um nur wenig mehr an Anregung zu liefern, als es der Katalog vermag oder verstreute Hinweise schon getan haben. Als jemand der in derlei Medien blättert, ist man jedenfalls nicht dazu verdammt, auf andere Bezüge und Eindrücke zu verzichten, während man sich in der sterilen Riesenhalle des Kunstbaus leicht wie ein Gefangener einer recht öden Wirklichkeit fühlen kann.

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Michael Hauffen

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