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Haim Steinbach – North East South West


In den 80er Jahren tauchte der Name Haim Steinbach regelmäßig im Zusammenhang mit der damaligen Renaissance des ready-made auf, die im Zeichen provokativer marktkonformer Beliebigkeit stand. Seine Arbeiten nahmen Teil am relativ plötzlichen ästhetischen Umschwung zu einem Kult massenproduzierter Dinge, deren Waren- und Fetischcharakter sie in aller Exaltiertheit nun ganz plakativ herstellen zu wollen schienen.
Dass unter dieser medienwirksamen Oberfläche auch noch eine Reflexionsebene verborgen sein konnte, die sich bis zu den konkreten sozialen Kontexten erstreckt, auf denen Machtstrukturen beruhen, und in denen das ästhetische Feld eine nicht unwesentliche Rolle spielt, das wurde erst durch Steinbachs in den letzten 10 Jahren entstandene Arbeiten klar, wo er teilweise auch auf die hierzulande weniger wahrgenommenen Ursprünge seines Ansatzes zurückkam.
Während es bei der Thematisierung des Warencharakters von attraktiven Dingen vorrangig um den Tauschwert geht, also um die bloße Verfügungsgewalt über die materiellen Mittel zum Erwerb von Eigentum, stehen bei der Beobachtung der vielfältigen Bedeutungen, die die erworbenen Gegenstände für die Besitzer abgesehen von ihrem taxierbaren Prestigewert annehmen, wesentlich subtilere und irritierendere Praktiken, Verhältnisse und Bezüge im Mittelpunkt, ohne dass der Einfluss von dahinterliegenden fundamentalen Machtstrukturen geleugnet würde. Vergleichbare Verschiebungen in den Gegenstandsbereichen kritischer Gesellschaftstheorie finden sich etwa bei Michel Foucault oder Pierre Bourdieu, wo der Umgang mit Symbolen und Diskursen als nicht-reduzierbaren Faktoren sozialer Kämpfe behandelt wird.
North East South West versetzt die BetrachterInnen in die Lage, solche mikropolitischen Verhältnisse zu beobachten. Die Vorgehensweise des Künstlers besteht darin, Personen aus den unterschiedlichsten sozialen Schichten in ihren Wohnungen zu besuchen um dort diejenigen Gegenstände aufzuspüren, die von ihren Besitzern besonders geschätzt und an besonders hervorgehobenen Orten platziert werden. Nach den üblichen Ritualen, die zu solchen Besuchen gehören, werden als geeignet ausgewählte Objekte mit Einverständnis ihrer Besitzer ihrem „natürlichen” Milieu entrissen und in den relativ neutralen Rahmen eines Ausstellungsinstituts verpflanzt, wo sie mit anderen Objekten anderer Besitzer konfrontiert werden. Insgesamt findet also ein Prozess statt, in dem die zuvor weitgehend latenten Bedeutungen und Funktionen dieser Objekte für die daran Beteiligten nach und nach hervorzutreten beginnen.
Es liegt nahe, Steinbachs Operationen mit denen von Kulturanthropologen oder musealen Archivaren zu vergleichen. Deren Verfahren gehen zwar auf die Erforschung (vom eigenen Standpunkt aus:) fremder Völker zurück, die im Zusammenhang mit der Ausbreitung kolonialistischer Politik zweckmäßig geworden war; aber auch in diesen Wissenschaftsbereichen zeichnet sich zunehmend die Tendenz ab, ihre jeweiligen Verfahren auf die eigene Kultur, bzw. auf die eigenen Kulturen anzuwenden, deren Heterogenität im Übrigen aus den unterschiedlichsten Gründen ebenfalls immer stärker hervortritt. Schon der Titel von Steinbachs Ausstellung, der die vier Himmelsrichtungen zitiert, lässt sowohl das Motiv von Globalität und kolonialem Abenteuer, als auch das einer empirischen Vollständigkeit anklingen, und es bezieht sich andererseits auf den angesprochenen Trend, wenn man weiß, dass damit die Teile der Stadt Berlin gemeint sind, aus denen der Künstler und seine Assistentin Gabriele Worgitzki ihre kulturellen Proben im ersten Teil des Projekts entnommen haben.
Diese beschränken sich nicht allein auf die Entnahme von Gegenständen, sondern werden durch Videoaufzeichnungen von jenen Gesprächen vervollständigt, die bei der Recherche vor Ort ohnehin dazugehörten. So wird es etwa möglich, einem ca. 8jährigen erklärungsfreudigen Mädchen beim Spielen mit seinem Puppenhaus zuzusehen, und daraus die subtilen Bedeutungen zu nachzuvollziehen, die dessen verschiedene Teile in seinem „Sprachspiel” haben. Oder man folgt den Erklärungen, die ein schon bejahrter Herr und seine Lebensgefährtin dafür abgeben, warum die pompöse Barockuhr, die er sich eigentlich nicht leisten konnte, unverzichtbarer Bestandteil eines Selbstverständnisses wurde, dessen Zusammenfassung lautet: „Ich bin ein barocker Mensch.”
Die Verwandtschaft zu einer wissenschaftlichen Arbeit reicht sicherlich noch weiter, wenn sich beispielsweise deren Kriterien auch darin spiegeln, dass Steinbach eine Art repräsentativen Querschnitt durch die Gesellschaft am Bezugsort seines Projekts angestrebt hat, wobei sowohl Alter, als auch Geschlecht, Vermögen und soziales Kapital berücksichtigt worden zu sein scheinen. Aber das alles führt nicht dazu, dass sich die künstlerische Arbeit einer wissenschaftlichen Logik unterordnen würde.
Die Ausstellung als Kunstwerk durchkreuzt diese Logik, indem es die Betrachter auf die andere Seite führt, wo es nicht darum geht, objektive Regeln herauszufiltern und zu beobachten, sondern Gelegenheiten zu finden und zu ergreifen, diesen Regeln zu entkommen. Wem das gelingt, der erfährt North East South West wie Bruce Ferguson, der Autor eines der Katalogtexte, als Lachkabinett, und das um so mehr, als es ein Lachen über die Illusionen ist, denen man sich selbst mehr oder weniger verschrieben hat, insofern man an jenem Spiel teilnimmt, dessen Regel darin besteht, sich eine kulturelle Identität zu geben und diese gegen alles andere hartnäckig zu verteidigen.
Vielleicht ist auch Steinbachs plump brachiales Baugerüst, in dem er die zumeist fragilen Objekte subjektiver Wertschätzung auf lose aufliegenden Glasplatten teilweise so positioniert, als ob sie voreinander und vor den Betrachtern hysterisch zu entweichen versuchten, schon ein Kommentar in dieser Richtung. Trotz der Verwinkeltheit der Konstruktion, die die Gegenstände separiert, und den großen Überblick und Durchblick verstellt, kommt nirgends besonders leicht das Gefühl von Heimeligkeit auf. Zudem geben die Glasplatten Perspektiven auf die „schönen Dinge” frei (besonders wenn man sie von weit unten sieht), die deren Funktion einer Herstellung von repräsentativen Fassaden, die heimlichere Absichten verbergen sollen, ironisch übertreiben und zugleich sabotieren.
Aber auch wenn auf diese Details – wie in anderen Arbeiten Steinbachs – verzichtet worden wäre, bliebe das Faktum bestehen, dass letztlich der Künstler ebensowenig wie die Betrachter außerhalb der kulturellen Taktiken und Strategien verharren können. Das Wechselspiel von Beziehungen und Verhältnissen kommt nur in dem Maß in den Blick, wie es ein Motiv gibt, deren diffuse Bedeutungen zu erfassen, ein Motiv, das ohne den ständigen Bedarf nach Gelegenheiten und Chancen für eine möglichst günstige Selbstdarstellung zu schwach wäre. Analog zu den Bedeutungen von Wörtern gilt auch für die Bedeutungen von symbolischen Objekten, dass sie nicht zu fixieren sind, sondern jederzeit Wendungen offerieren können, auf die die AkteurInnen im kulturellen Spiel lauern, um von ihnen zu profitieren.
Man darf sich nur nicht dabei aufhalten, den entschwundenen Fiktionen allzulange nachzutrauern. Letzterer Regel sind nach den Recherchen Steinbachs die BewohnerInnen der ehemaligen DDR gefolgt, wenn sie den bei ihnen vor dem Fall der Mauer gepflogenen Brauch, die Verpackungen von Westprodukten zu sammeln, nach der Wende spontan aufgaben. Schade, denn Steinbach hätte seinen Spaß damit gehabt, das Spiel mit dem ready-made um eine weitere Variante des alltäglichen Exotismus zu bereichern. Aber mindestens genauso interessant dürfte es immerhin sein, nach den sozialen Bedingungen zu fragen, unter denen andere in der Privatsphäre noch immer hochgeschätzte Gegenstände plötzlich ihre symbolischen Werte wechselten, wie etwa nackte Figürchen, griechische Vasen, barocke Uhren, Puppenwohnzimmer oder verstaubte Bücher. Vielleicht wäre das sogar eine Zeit, in der die Bejahung der Demokratie bis in den ganz alltäglichen Umgang mit Symbolen und Menschen vorgedrungen ist.

Der Katalog zur Ausstellung, mit Beiträgen von Stephanie Rosenthal, Haim Steinbach, Alexander Tolnay, Valentin Rauer und Bruce Ferguson ist im Cantz Verlag, Stuttgart erschienen. 112. Seiten, DM 28,-.

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Michael Hauffen

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