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Martin Wöhrl - update01


Bingo nannte Gordon Matta-Clark eine Arbeit, die im Unterschied zu seinen rigorosen Aktionen, bei denen er ganze Gebäude durchlöcherte, aufbrach oder zersägte, handlich genug ist, um in Galerien und Museen ausgestellt zu werden. Es handelt sich um drei zusammenhängende Fragmente der Fassade eines durchschnittlichen Wohnhauses, die dort herausgesägt und dann an anderem Ort als Kunstobjekt ausgestellt wurden. Die veränderte Anordnung dieser drei Teile, die nun nebeneinander stehen, greift bekannte Muster ästhetischer Inszenierung, wie serielle Reihungen oder konstruktive Kombinationen auf, konfrontiert aber deren leeren Formalismus mit der rauen Wirklichkeit von Grenzen setzenden Mauern und ihrer Zerstörung.
Vielleicht ist für Martin Wöhrl Matta-Clark so etwas wie ein Idol, aber wenn er sich entschieden hat, Bingo in seiner Arbeit update.01 dem Prozess einer Reformulierung zu unterwerfen, dann liegen dem nicht nur Motive der Reverenz, sondern auch skeptische Beobachtungen des Kunstgeschehens zugrunde. Vor allem geht es darum, jene Wendung nachzuvollziehen, die darin besteht, dass ein anfänglich nicht nur anarchischer und destruktiver, sondern auch explizit sozialkritischer Impuls, Stein gewordene Konventionen aufzubrechen, zu einem Objekt gerinnt, das im Kunstsystem zelebriert, konserviert und vermarktet werden kann, weil es den dort vorherrschenden Regeln formalistischer Kontemplation entgegenkommt.
Matta-Clark ging es um eine radikale Kritik der Errungenschaften moderner Alltagsorganisation. Seine Einschnitte und Durchbrüche in Gebäuden stellen den Versuch dar, Sensibilität für die vielen anderen Möglichkeiten zu wecken, die von den Kalkülen architektonischer Abschottung ausgeschlossen werden. Mauern und Dachkonstruktionen dienen in den Regionen des Wohlstands schon lange nicht mehr allein zur Abschirmung gegen Naturgewalten, sondern vor allem zur Kanalisierung sozialer Energien. Egal ob es sich um die Normierung von „Eigenheimen” oder um die Übertragung bürokratischer, industrieller oder konsumstrategischer Strukturen in ein System von Zugängen, Einblicken und Ausschlüssen handelt, immer werden hier Handlungsspielräume reduziert und Perspektiven konditioniert. Und diese Funktion von Gebäuden bildete den negativen Fokus von Matta-Clarks Interventionen.
Demgegenüber drängte sich bei den kürzlich erfolgten Präsentationen der Arbeit Bingo der Eindruck auf, dass die Bedeutung der Wandfragmente unterdessen geradezu vollständig verkehrt worden sein könnte, insofern sie als Bestandteile eines älteren nordamerikanischen Holzhauses einem hollywoodmäßig verklärten Blick auf das Relikt einer idealisierten Epoche mindestens ebensoviel Raum geben, wie der dezidierten Kritik des Kapitalismus, die der Künstler dabei intendiert hatte. Muss man also nicht durch diesen Vorgang das Gesetz von der Verkehrung ästhetisch artikulierten Widerstands in einen affirmativen Kult seiner Spuren als quasi exotischer Symbole bestätigt sehen?
Ein unmissverständliches Beispiel für seine Radikalität lieferte Matta-Clark 1976, wo er von Peter Eisenman ins neu gegründete Institut for Architecture and Urban Research eingeladen worden war. Er besorgte sich ein Luftgewehr und zerschoss sämtliche Fenster des Instituts. Wie unschwer zu begreifen ist, brach damit jeder weitere Dialog zwischen Matta-Clark und der Architektenzunft ab. Aber seine Attacken gegen die „Containisierung des Lebensraumes im Interesse des Kapitalismus” sind deshalb nicht in Vergessenheit geraten. Zweifellos weist beispielsweise Daniel Libeskinds neues jüdisches Museum in Berlin auffällige Parallelen zu Matta-Clarks Konzepten auf, vor allem wenn man an die quer verlaufenden Verbindungsschächte denkt, die keine andere Funktion haben, als den Blick in die konstruktive Struktur des Gebäudes freizugeben.
Es sind die kleinen Unterschiede, die Martin Wöhrls Arbeit geeignet machen, die hieran erkennbare Eigendynamik des Kunstsystems zu reflektieren und subtil zu unterlaufen. Seine Mauerfragmente sind künstlich hergestellt, und nehmen damit den Charakter musealisierter Präparate vorweg, zu denen Kunstobjekte im Laufe ihrer konservatorischen Behandlung unweigerlich werden. Analoges gilt für die demonstrative Geste radikaler Destruktion, die im Nachhinein allzu leicht auf das spektakuläre Moment einer Ersatzhandlung verkürzt zu werden pflegt. Jedenfalls scheint es keine Möglichkeit mehr zu geben, an die interventionistische Tradition und ihre damalige Virulenz anzuknüpfen.
Als Beleg dafür mag die Ausstellungssituation in der Galerie FOE156 dienen, wo Wöhrls Mauerobjekt auf eine Weise inszeniert wurde, die einer Intervention zum Verwechseln ähnlich sieht. Der Kurator Christopher Kramatschek hatte sich entschieden, die dort zuvor von dem australischen Künstler Stephen Bram realisierte, und den gesamten Raum umfassende Installation nicht wieder abzureißen, sondern ein Jahr lang als ungewöhnlichen Rahmen für die folgenden Ausstellungen beizubehalten – auch dies der Versuch eine Kunstpraxis jenseits der Norm des white cube zu erproben. Aber vermutlich ist das Resultat, wie sich update.01 dort präsentiert, unter heutigen Bedingungen normal. Eine Rigipswand musste zerstört werden, um Wöhrls Objekt komplett aufstellen zu können, und der Durchbruch wurde zu einem Teil der Ausstellung. Solche Inszenierungen sind es allerdings nicht, die uns an Baustellen und spektakuläre Ausstellungsarchitektur gewohnten Zeitgenossen noch allzu sehr verwirren oder in Spannung versetzen könnten.
Um so mehr ist von differenzierten und präzisen Eingriffen zu erwarten. Wenn etwa Martin Wöhrl – um ein letztes Merkmal seiner Neuauflage von Bingo anzusprechen – sich bei den Fassadenteilen, die er präsentiert, in Bezug auf Maße, Fenster, Türen und Treppen weitgehend an das Original hält, aber alle Details mit den hierzulande üblichen Baumaterialien ausführt, dann könnte das etwa die Frage aufwerfen, wie wichtig uns selbst die Mauern sind, hinter denen wir das Weltgeschehen im Fernsehen zu betrachten pflegen.

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Michael Hauffen

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