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NextLevel
Die Lust am Spiel in der Netzwerkgesellschaft


Mit der Errichtung von Zaha Hadids Gebäude für das neue Science Center „Phäno” kann die ansonsten vor allem als Anhang zu den VW-Werken fungierende Stadt Wolfsburg seit einem Jahr eine Attraktion ersten Ranges für sich geltend machen. Endlich scheint hier in drei Dimensionen eine Realisierung der paradoxen Kräfte gelungen, die uns zuletzt vor allem das Phänomen des virtuellen Raums erfahren ließ. Das liegt nicht allein daran, dass ein solcher Entwurf ohne elektronische Datenverarbeitung unmöglich gewesen wäre, sondern auch an dem radikalen Umgang mit Formen und Konventionen, der in der frühen Begeisterung Hadids für die Destruktionskunst Gustav Metzgers wurzelt. Verkürzt gesprochen präsentiert „Phäno” das befreiende Potential der Dekonstruktion in einem Maßstab, der dem Zeitalter der globalen Vernetzung ebenso angemessen ist, wie der Bedeutung des virtuellen Raums, als integralem Bestandteil unserer Informationsgesellschaft.
An diese Vorgabe knüpft Justin Hoffmanns Ausstellung NextLevel im Kunstverein Wolfsburg mit der Ausstellung einer Reihe von künstlerischer Arbeiten an, die sich im Medium der Computerspiele um die Freisetzung und Entdeckung von neuen Aktionsmöglichkeiten bemühen, und dabei vor der Destruktion der hier bereits ausgeprägten Konventionen nicht nur nicht zurückschrecken, sondern diese als wesentliche Quelle ihrer Produktivität einsetzen.
Die sogenannten Egoshooter stellen gewissermaßen den Mainstream der Computerspiele dar. Das spielende Subjekt gehorcht hierbei der Regel, sich selbst zu verteidigen, indem es Hindernisse überwindet und feindliche Andere eliminiert. Die Darstellung ist deshalb auch durchgängig um das Subjekt zentriert. Diese Logik greift das Künstlerduo Jodi auf, aber mit der Intention, gerade das vorausgesetzte Subjekt selbst und die Verlässlichkeit von Raum und Zeit, die dazu gehört, zu unterminieren. Durch Manipulation der Spiele-Software gelangen sie zu minimalistischen Videoloops, die dekonstruierte Subjekte in dekonstruierten Räumen zeigen. Während die Figuren oft übertrieben verdreht sind, und ihre Oberflächenbestandteile nicht mehr ganz zusammenpassen, wechseln die Räume kurzfristig ihr Aussehen und bieten Wände keine Grenzen mehr, so dass sie von den Körpern durchdrungen werden können. Durch diese Abweichungen von der Normalform der Simulation wird die Konstruiertheit des Virtuellen auf skurrile Art ins Bewusstsein gerufen.
Eine Reihe anderer Arbeiten setzt sich vor allem von den narrativen Klischees ab, die das Terrain beherrschen. Tamiko Thiel entwirft unter dem Titel „The Travels of Mariko Horo” Szenerien für eine imaginäre Zeitreise, die von Japan in den Westen führt. Das christliche Abendland mit seinen kulturellen Monumenten – allen voran kann man da der Stadt Venedig und Motiven aus Dantes Göttlicher Komödie begegnen – erscheint hier aus buddhistischer Perspektive und wird als exotische Welt interpretiert. Wenn also etwa christliche Engelsfiguren in Anordnungen erscheinen, wie man sie von buddhistischen Heiligendarstellungen kennt, sind die gewohnten Ordnungen deutlich irritiert. Die dynamische Organisation der einzelnen Elemente, die zu oft überraschenden Begegnungen führt, sowie starke psychedelische Effekte tun ein Übriges, um einen mentalen Zustand zu provozieren, der vermeintlich vertraute Vorstellungen ins Ungewisse gleiten lässt.
Auch Joulia Strauss und Moritz Mattern demonstrieren in ihrem Game „Freischwan von Steckdosen” das verborgene poetische Potential des Mediums. Hier bewegt man sich als Schwan durch eine märchenhafte Landschaft, und ist mit der Fähigkeit ausgestattet, merkwürdige Pflanzen zu verspeisen. Jedes Mal wenn einem das gelingt, wird das Spiel durch die Vorführung von Videos unterbrochen, die als eigenständige künstlerische Arbeiten gelten können.
Lynne Marsh entwirft nicht nur ein eigenes Szenario, das ihren Vorstellungen von fluiden Bewegungen entspricht, sie setzt sich selbst als Heldin in einem Animationsfilm ein, der nach Art der Computerspiele zeigt wie ein Trupp von Kriegerinnen (eigentlich Klone der Hauptfigur) über eine Wüstenlandschaft fliegt, und dabei verschiedene Hindernisse überwinden muss.
Felix Stephan Hubers „ops room” wurde inzwischen schon auf vielen Ausstellungen gezeigt, stellt aber nach wie vor ein Highlight dar. Es geht um die Vision des chilenischen Präsidenten Allende, der 1972 eine sozialistische Wirtschaft auf der Basis eines zentralen Informationssystems steuern wollte, das die eingehenden Daten elektronisch verarbeitete. Der in Hubers virtuellem Szenario dargestellte Raum hat wirklich existiert, und stellt damit quasi das Denkmal einer in mehrfacher Hinsicht gescheiterten Vision dar. Wenn man sich durch den Raum bewegt, stoßen die dort anwesenden Operateure gelegentlich Sätze aus, die dieses Scheitern in Worte zu fassen versuchen. An zwei Monitoren wird außerdem historisches Filmmaterial zu Allende gezeigt. Und durch eine Tür über der „Exit” steht, kann man in einen zweiten identischen Raum gelangen, in dem das Desaster der hier materialisierten Idee metaphorisch dargestellt wird: Die Operateure haben die Macht über ihre Geräte und über sich selbst verloren, scheinen unter Drogen zu stehen oder einfach nicht mehr zu können. Die Wandmonitore zeigen jetzt düstere Ausschnitte aus dem frühen Science-Fiktion-Film „THX” von George Lucas.
Bei Natalie Bookchins „The Intruder”, das von 1999 stammt, wird der technologische Abstand deutlich, den ein paar Jahre ausmachen. Wenn daher hier in der Art früher Computerspiele eine Liebesgeschichte von Jorge Louis Borges inszeniert wird, dann drückt sich dabei weniger Romantik, als aggressive Coolness aus. Antonio Riello treibt in seiner Pionierarbeit von 1996 den Sarkasmus bezüglich der Logik des Kriegsspiels dann auf die Spitze, wenn er dem Player die Möglichkeit bietet, auf Boat People zu schießen, die die italienische Küste zu erreichen versuchen.
Zwei weitere Positionen befassen sich eher mit der Hardware als mit der Software der Spiele. Sebastian Grätz baut eine Spielkonsole in Holz mit allen beweglichen Teilen nach, und verweist damit auf die manuellen Fertigkeiten, die von der Technik vorausgesetzt, aber selten gewürdigt werden. Olav Val bietet einen Selbstbausatz für einen rudimentären Gameboy an, und ermöglicht damit Kindern einen Einstieg in den eigenständigen Entwurf von Computerspielen – unterstützt von gelegentlichen Workshops.
Giselind von Wurmb schließlich setzt die aus Computerspielen vertraute Ikonografie im Medium des Tafelbildes ein, und demonstriert damit deren Nähe zu einer Vielzahl von Kunstströmungen aus dem vor-virtuellen Zeitalter.

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Michael Hauffen

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