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Am Ende der Gutenberg-Galaxis


Die Botschaft vom schwindenden Wert althergebrachter Wahrheiten dürfte inzwischen bis in die letzten Winkel der Erde gedrungen sein. Allerdings wird sie nicht gerade selten gleich wieder verdrängt oder bekämpft, wobei auffällt, daß dabei auch diejenigen Mittel als Waffen eingesetzt werden, die das Ganze in Bewegung brachten, zum Beispiel Telekommunikation oder präzise wissenschaftliche Argumentation. Dieser postmoderne Tatbestand bedeutet für alle Beteiligten eine drastisch zunehmende Unübersichtlichkeit der Verhältnisse.
Norbert Bolz, der sein Buch als Wegweiser zu den "neuen Kommunikationsverhältnissen" anpreist, hat sich als Verteidiger systemtheoretischer Erklärungsmodelle im Bereich elektronischer Medien einen Namen gemacht. Wo durchschnittliche Propagandisten der Computertechnik nur mit faszinierenden Bildern oder enormen Marktchancen argumentieren können, beanspruchen seine Beiträge zur diesbezüglichen Diskussion Wissenschaftlichkeit auf dem neuesten Stand. Im Gegensatz zur rigorosen Höchstbewertung wirtschaftlicher Interessen, die anderswo zumeist das letzte Wort hat, können hier auch kritische Positionen Legitimität beanspruchen, sofern sie in der Lage sind, sich auf dem insgesamt vorgegebenen theoretischen Niveau zu behaupten.
Den Positivismusstreit fortführend geht Bolz deshalb auf die im deutschen Sprachraum bekanntere, und bis heute in hohem Ansehen stehende Kritische Theorie ausführlich ein. Er unterscheidet dabei zwischen KT (Kritischer Theorie) I (Adorno) und KT II (Habermaß), um schließlich beiden zu bescheinigen, daß sie sich an unhaltbare Hoffnungen klammern.
Wenn auch im selben schnoddrigen Tonfall verfaßt, wie die Äußerungen des Vaters der deutschen Systemtheorie, Niklas Luhmann, auf den sich Bolz ununterbrochen beruft, kann man ihm also nicht vorwerfen, daß er den Stand dessen, was in der Zeit nach der Studentenrevolte ein Schwerpunkt intellektueller Positionen war, ignorieren würde. Was die danach bestimmenden, vor allem poststrukturalistischen Theorieansätze betrifft, so greift er sich davon gezielt das heraus, was geeignet ist unter dem Motto "anything goes" wilden Thesen und verwegenen Gedankensprüngen zum Recht zu verhelfen. Und es ist dementsprechend leicht, zu dem Resultat zu kommen, daß die neue Realität genau so aussehen wird, wie es sich der Fanatismus besessener Technologen schon immer irgendwie vorgestellt hat.
Während es also anfangs noch darum gegangen sein mochte, wissenschaftliche Autorität durch methodische Auseinandersetzung mit Argumenten zu begründen, macht sich in diesem Buch zum Ende hin eine ästhetisch geprägte Perspektive immer breiter. In diesem Moment gewinnt auch die Kunst eine Bedeutung. Aber neben gewissen Winken, die dem Leser von seiten etwa Ernst Jüngers vermittelt werden, werden auch hier ausschließlich Positionen ins Feld geführt, die bereits museal sind, und daher inzwischen zusätzlich als Machtsymbole fungieren. Es sind nicht zuletzt derartige oftmals verkannte, also unbewußte Nebenbedeutungen, die im ästhetischen Diskurs unsichere Wertungen zu unterstützen pflegen, was man auch als Verführung bezeichnen und – allerdings mit entsprechendem Mehraufwand – kritisch erfassen könnte.
So wird bei der Lektüre deutlich, daß Bolz einen sehr heterogenen Diskurs führt, dessen Kohärenz durch die vermeintliche Souveränität der Systemtheorie garantiert wird. Die von ihm verwendeten Methoden und Darstellungsweisen reichen vom wissenschaftlichen Text bis zum journalistischen Einsatz prägnanter Schlagworte und überraschender Einfälle. Steigende Ansprüche an die Fähigkeit zur Verarbeitung von Komplexität stellen nicht nur die entworfenen Szenarien, sondern auch diese Art von Text selbst. In dieser Hinsicht vermittelt Bolz allerdings einen einigermaßen realistischen Eindruck von dem Grad an Verwirrung, der zu erwarten ist, sobald vertrauenswürdige Spezialisten fehlen. Und es fragt sich natürlich, wie weit man Vertrauen jemandem entgegenbringen kann, der sein eigenes Medium bereits für antiquiert hält, und nun mit zynischem Ton eine neue kommunikative Weltordnung prophezeit, deren Glücksversprechen, wenn überhaupt, nur an die Fittesten gerichtet zu sein scheint.

Norbert Bolz, Am Ende der Gutenberg-Galaxis, 2. Auflage 1995, Wilhelm Fink Verlag, München, DM 38,-.

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Michael Hauffen

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