Text

Ian Kiaer – Endnote, pink


Auch wenn sich die Räume des Münchner Kunstvereins, vor allem hinsichtlich des Bodens, schon seit einigen Jahren in einem desolaten Zustand befinden, mag darunter zwar das Prestige der Institution leiden, nicht jedoch die definitive Vorgabe eines musealen Raumes. Das liegt nicht zuletzt an den architektonischen Gegebenheiten, die mit ihren Rundbögen, Treppen und hoch gelegenen Fenstern sehr viel weiße Wand präsentieren und wenig mit der Gegenwart normierter Zurichtungen zu tun haben.
Der Künstler Ian Kiaer scheint wie geschaffen dafür, diese Voraussetzung produktiv zu machen, und es den schicken Salons vorzumachen, wie man aus den Folgen finanzieller Einbrüche ästhetisches Kapital schlägt. Mit subtilen Mitteln deutet er die Spuren baulicher Mängel zur ruinenhaften Verlassenheit um und gestaltet sie in romantischer Verklärung aus, ohne dabei den Anschluss an aktuelle Trends zu vergessen. Ein wesentliches Element dieser Leistung liegt in der Verwendung miniaturhafter und fragmentierter Modelle, auch wenn diese nur als verstreute Marginalien erscheinen. Da sie ohne irgendwelche Podeste, Sockel oder Vitrinen direkt auf dem Boden postiert werden, bewirken sie eine Schärfung des Blicks auch in Bezug auf die Umgebung, deren betongraues Profil mit seinen Rissen und nicht beseitigten Farbspuren zu einer Art brachliegender Industrielandschaft umgedeutet wird. Und umso größer wirken dann auch die anderen im Raum arrangierten Objekte, deren minimalistische Palette sich von Gummibändern über ausgebreitete Matten, Folien und Papierbögen bis zu großformatigen monochromen Tafeln und einem aufgeblasenen Plastikkissen erstreckt. Letzteres reicht als transparentes Objekt bis knapp unter die immerhin sieben Meter hohe Decke und wird – in prekärer Abhängigkeit von einem kleinen Gebläse – in der Senkrechten gehalten. Im größten Mittelraum gegenüber steht ein ähnlich großzügig dimensionierter quadratischer Rahmen, der an die skulpturalen Experimente eines Fred Sandback erinnernd, aus sehr dünnen Aluminiumstangen konstruiert ist. Beide Objekte scheinen sich mithin in ihrer fragilen Monumentalität ebenso zu bestätigen, wie sie den Blick ins Leere zugleich eröffnen und melancholisch kommentieren. Wird doch das Gefühl von Größe, ja von Omnipotenz im kreativen Akt, das sie beschwören, durch die verwendeten Materialien und ihre offenbare Abhängigkeit von musealen Idealbedingungen – einschließlich täglicher Ausbesserungsarbeiten durch das Museumspersonal – ganz entspannt auch wieder als Illusion vorgeführt. Das Luftkissen immerhin verändert den Blick aber auch, indem es die Sicht auf das Dahinterliegende verzerrt und eintrübt, also zumindest als Möglichkeit die Erfahrung neuer Sichtweisen andeutet.
Auch die anderen Arbeiten thematisieren den leeren Raum und zielen auf die nüchterne Rezeption seiner Eigenheiten, indem sie ihn auf beiläufig minimalistische Art mit abstrakt flächigen, linearen oder voluminösen Objekten füllen. Als Bezugnahmen auf die museale Logik und ihre Bruchstellen sind diese Gesten mit ihren Verschiebungen, Markierungen und Umkehrungen im Prinzip aus dem Repertoire der Moderne und der Concept Art bekannt. Und auch wenn Kiaer zur Betonung der Fragilität, und um den improvisierten Charakter der Setzungen noch zu unterstreichen, mit Vorliebe Fundstücke, also eigentlich Abfall, verwendet, und diese nur behutsam mit käuflich erworbenen Materialien kombiniert, verharrt er im Rahmen einer selbstreflexiven Kunsttradition spätmoderner Prägung, die es auf ein Spiel mit den Weisen der Wahrnehmung abgesehen hat, welche den White Cube bestimmen. So sind die vielen flachen und rechteckigen Objekte, die der konditionierte Kunstbetrachter spontan als monochrome Bildtafeln wahrnimmt, zwar ebenfalls nur Fundstücke, die wie eine alte Jalousie, ein Bettlaken oder ein Stück Rettungsfolie durch ihre Gebrauchsspuren an abstrakte malerische Experimente erinnern, sie bestätigen aber gerade dadurch auch den nun schon historischen Trend der Formalisierung und der weitgehenden Abstraktion von Inhaltlichkeit.
Analoges gilt für die in die Installationen integrierten Objekte: auch sie stellen Dinge dar, die weniger als Vermittler inhaltlicher Bezüge fungieren, wie das heute bei Ready-Mades zumeist der Fall ist, sondern eher wegen ihrer reinen Oberflächenwirkung, also in Bezug auf ihre farbliche oder formale Übereinstimmung ausgewählt wurden, und deshalb allenfalls abstrakt auf eine technische Welt anonymer Produktion verweisen, die als Gegenstück ein leeres Subjekt beschwören.
Als Zeugnisse eines solchen können die gelegentlichen und dezenten malerischen Hinzufügungen Kiaers gelesen werden. Wirken sie doch in diesem Zusammenhang wie Objets Trouvés – so als ob der ausgebildete Maler auf seinem Kurs Richtung Abstraktion von vorgegebenen Realitäten auch schon seine Maleridentität hinter sich gelassen, und sie nun als fremde und eigentlich wertlose Erscheinung wieder gefunden und dandyistisch akzentuiert hätte.
Zusammenfassend könnte man also sagen, dass es sich hier entgegen dem Anschein um eine tief in einer Tradition verwurzelte Position handelt, die die Radikalität der Moderne mit romantischer Verklärung verbindet. Der Titel der Ausstellung, „Endnote, Pink” fügt dieser Charakteristik – neben der offen bleibenden Bedeutung der Farbe Pink – noch die Idee der Nachträglichkeit hinzu. Allerdings entsteht der Eindruck, diese Sichtweise einer Endphase der letzten Fußnoten würde wie eine Fluchtlinie mit besonderem Genuß zelebriert und könnte auf unbestimmte Zeit als Lösung fungieren.
Der Kurator Bart van der Heide bringt Kiaers Vorgehensweise mit dem Genre des Stilllebens in Verbindung, und er argumentiert, dass darin die dargestellten Objekte für sich selbst stünden, anstatt für andere Botschaften instrumentalisiert zu werden. Es wäre dann der intime, privativ abgeschottete Raum mit seiner Ordnung des Idyllischen, der sich hier im Museum in einer deutlich übersteigerten Größenordnung präsentiert, und damit das Monumentale als (wie auch immer metaphorisch verkleidete) Repräsentation von allgemeingültigen Werten und Diskursen in Hegelschem Sinn aufhebt. Individuelle Kontemplation tritt an die Stelle öffentlicher Kultur, ersetzt sie dem Anspruch nach, oder verdrängt sie zumindest aus dem Bereich der Kunst. Die Geschichte der sozialen Kämpfe auf makropolitischer Ebene hat sicherlich ausreichend Gründe geliefert, diesen Rückzug in die Intimität zu wählen; aber er würde zugleich auch die Kapitulation vor ihr und ihrer Gewalt bedeuten, der gegenüber die Kunst ihre marginale Position als einen definierten Freiraum akzeptiert, weil es ihr exklusiv gestattet ist, ihre internen Grenzen immer wieder zu überschreiten.
Zudem bildete diese Position eine passende Ergänzung zu einer Gesellschaft, die am Ende ihrer Geschichte angekommen ist. Und sie hätte den Vorzug gegenüber einem Diskurs, der sich nur noch in der Lage sieht, die Verhältnisse grau in grau zu malen, ebenfalls den Hunger nach Utopien überwunden und ad acta gelegt zu haben, aber ihre Melancholie als subtiles Erlebnis mit Genuß zu inszenieren.

Newsletter

Michael Hauffen

derzeit noch nicht aktiv, bitte versuchen Sie es später wieder