Text

Hürden, Prüfungen, Schikanen
Die Künstlerin Farida Heuck über institutionelle Voraussetzungen von Rassismus


Hinter der medienwirksamen Oberfläche einer inzwischen schon obligatorischen Leitkultur-Rhetorik, verbunden mit einer neuerlichen biologistischen Attacke und getragen von einer Alarm-Stimmung, die ihre Ursache vor allem in den Eruptionen der weltweiten Finanzkrise haben dürfte, lässt sich in Deutschland derzeit eine weitergehende Normalisierung rassistischer und sozialdarwinistischer Ressentiments konstatieren. Deren ideologischer Gehalt scheint vor allem aus Projektionen auf Phantasiegebilde zu bestehen, während die damit verbundenen Ursachen eher im Dunkeln bleiben. Allerdings kristallisiert sich zunehmend der sozialökonomische Aspekt als wesentlicher Faktor heraus. Dabei bleiben die ethno-sozialen Minderheiten, die konstruiert und stigmatisiert werden, letztlich vage und können so als flexible Adressaten dem aktuellen Bedarf angepasst werden. (Anmerkung: für diese Situationsbeschreibung stütze ich mich teilweise auf den Artikel von Jobst Paul, „Fatale Antworten auf Herrn S.” in DISS-Journal 20/2010, S. 2. http://www.diss-duisburg.de/DISS-Journale/diss-journal_20.pdf)
Vielleicht würde es sich für Künstler, die solchen Formen der Ausgrenzung etwas entgegensetzen wollen, anbieten, auf der Ebene der Phantasmen zu agieren und die jeweils beschworenen Bilder in ihrer Widersprüchlichkeit zu dekonstruieren oder ihnen Alternativen gegenüberstellen, die die damit verbundene Verleugnung der demokratischen Grundideen von Gleichheit und Solidarität zurückweisen.

Die Künstlerin Farida Heuck hat diesen Weg nicht gewählt, sondern sich dafür entschieden, die Hintergründe aufzuklären, die rassistische (Anmerkung: In Bezug auf den Begriff des „Rassismus” beziehe ich mich auf: Mark Terkessidis, Die Banalität des Rassismus, Bielefeld 2004) Vorstellungen von der Minderwertigkeit Anderer erst ermöglichen. Das sind in erster Linie Gesetze und ihre institutionelle Umsetzung in Praktiken des Regierens, die gegenüber den zu benachteiligenden Gruppierungen in Anschlag gebracht werden.
Ein zentrales Element in der Zuwanderungspolitik der Bundesrepublik Deutschland stellen die sogenannten Integrationskurse dar. In ihrer Arbeit „Zertifikat Deutsch”, die sie in Zusammenarbeit mit der Soziologin Birgit zur Nieden entwickelte, ging Heuck ab 2005 der Geschichte und der konkreten Gestalt der Maßnahmen nach, die zum damaligen Zeitpunkt im Mittelpunkt der „Integrationsdebatte” standen. Im selben Jahr war das sogenannte Zuwanderungsbegrenzungsgesetz und die mit ihm installierte Vorschrift eines Nachweises von Deutschkenntnissen als Voraussetzung für eine Aufenthaltserlaubnis festgeschrieben worden. Bei der Darstellung der daraus entstandenen Situation ging es Heuck vor allem um die diskriminierenden Effekte, die in der behördlichen Durchführung der Vorgabe Gestalt annehmen.

Auf der Grundlage einer Reihe von Interviews, die sie mit verschiedenen an dieser Praxis Beteiligten durchführte, entwickelte Heuck eine Installation, bestehend aus drei Stehpulten, die formal an typisches behördliches Inventar angelehnt sind, und zudem als Träger audiovisueller Beiträge fungieren. Ein dazugehörender Videofilm zeigt einen Zusammenschnitt von historischem Sprachlehrmaterial, welches die laufenden Veränderungen der Zuschreibungen erkennen lässt, die gegenüber den Migranten vorgeherrscht haben. Während nämlich in einer ersten Phase bis in die frühen 70er Jahre vor allem ungelernte Fabrikarbeiter angeworben worden waren, die vorzugsweise isoliert bleiben sollten, und daher auch nur über einen geringen Prozentsatz von zweisprachigen Mittelsmännern als bloße Empfänger von Instruktionen auftauchten, wurde später (nach dem sogenannten „Anwerbestop”) die dadurch zwangsläufig bedingte Isolation der neuen Bewohner als Problem behandelt, und die mangelnden Sprachkenntnisse der Mehrheit der Migranten zu einem Ausdruck von kulturell bedingter Ablehnung von Integrationsforderungen umgedeutet.
Auf ein zweites Pult wird das Ausfüllen der Antragsformulare 1:1 als Videobild projiziert, so dass man hier die bürokratischen Hürden und ihren „miefigen” Charakter hautnah miterleben kann. Die umständliche Prozedur des Verstehens und Ausfüllens wird parallel dazu durch Stimmen verschiedener Personen reflektiert, die die Formulartexte und ihre eigenen Angaben mitsprechen. Ergänzt durch passende Zitate aus dem vertrackten Paragraphendeutsch ist es diese Tonspur, die die Installation maßgeblich prägt.
Weiteres die Installation begleitendes Material macht auf die Bedingungen, unter denen die Kurse durchgeführt werden, aufmerksam: So wurden die Träger der Kurse, die bis 2005 noch als freier Zusammenschluss operierten, nun unvermittelt der Asyl-Behörde und damit dem Innenministerium unterstellt, und zu einer Reihe von Kontrollmaßnahmen verpflichtet, die dann über statistische Auswertungsmethoden für den gezielten Einsatz weiterer Disziplinarmaßnahmen oder Steuerungsmechanismen genutzt werden. Den Betrachtern der Arbeit fällt es angesichts der Konfrontation mit derlei schikanösen Anforderungen dann auch nicht mehr schwer, sich vorzustellen, welche Wirkungen diese Reglements auf die Sprachkursteilnehmer haben müssen. Und das ganz abgesehen davon, dass parallel dazu die Last der Verantwortung für die Integration im medienpolitischen Diskurs zunehmend auf die Gruppe der schlecht Deutsch sprechenden verlagert wird.

Als museale Arbeit konnte „Zertifikat Deutsch” fast nur das Kunstpublikum und interessierte Akademiker oder Aktivisten erreichen. Um diese Barriere zu umgehen, realisierte Heuck kurz danach ein Projekt für den öffentlichen Raum unter dem Titel „Global Immigration Service”. Ihr Ziel war es, die widersprüchliche Situation im Kontext der behördlichen Verfahren für Zugewanderte noch weiter zuzuspitzen und provokativ zur Geltung zu bringen. Das fünf Meter hohe Objekt, bestehend aus einem kubischen Raum mit Fenstern, der auf vier Pfosten steht, wurde erstmals am Kottbuser Tor in Berlin-Kreuzberg aufgestellt. Von Ferne erinnert es an einen Wachturm, ein Eindruck, der bei näherer Betrachtung allerdings relativiert wird. Außen angebrachte Schriftzüge, vor allem der ganz oben befestigte Leuchtkasten mit der Aufschrift „Global Immigration” fungieren eher als Werbebotschaft und nähern das Objekt temporären Bauten an, wie man sie im Umfeld von Bauvorhaben oder als kommerzielle Eyecatcher an Landstraßen findet. Außerdem nimmt man auch wahr, dass der oben gelegene kubische Raum zwar unzugänglich ist, jedoch eine Inneneinrichtung enthält, die von außen, zusätzlich zu den umlaufenden Fenstern auch noch durch zwei in den Boden geschnittene Fenster einsehbar ist. Der quadratische Raum ist diagonal geteilt und beide Teilräume sind mit weiterem Inventar ausgestattet.
Die Zweiteilung repräsentiert zwei verschiedene Möglichkeiten der Intergration von Migranten, und zwar Möglichkeiten der Integration durch Einbürgerung in die Bundesrepublik Deutschland, die in dieser Differenz tatsächlich seit geraumer Zeit praktiziert werden. Und zwar auf der einen Seite die normale Einbürgerungsprozedur mit ihrer Menge von bürokratischen Hürden, Prüfungen und zumeist auch schikanösen Anforderungen, die insgesamt eine diskriminierende Praxis darstellen. Auf der anderen Seite die Ausnahmeregelung für „Hochqualifizierte”, also für solche Zuwanderer, die ein größeres Vermögen mitbringen beziehungsweise in der Lage sind, unternehmerisch tätig zu werden, und für die die Einbürgerung nahezu unbürokratisch und in exklusiver Atmosphäre vollzogen wird. Wer etwa 250.000 Euro oder mehr mitbringt, kann sich nämlich in Berlin direkt an den „Business Immigration Service” des IHK wenden, wo ihm dann in luxuriöser Umgebung professionelle Beratungsmöglichkeiten (zumeist auf englisch) geboten und die lästigen Immigrationsformalitäten abgenommen werden. Diese Option deutet Heuck durch eine verspiegelte Decke in ihrem Objekt an, sowie durch eine Fotowand mit Ansichten der von Nobilität geprägten Architektur des IHK und seiner Funktion als Kulisse eines feierlichen Empfangs. Die andere Raumhälfte, die dem normalen „Empfang” und seiner Funktionsweise als institutioneller Diskriminierung gewidmet ist, wird beherrscht von einer Zahlenwand, die den auf den verschiedenen Ämtern in die Warteposition gezwungenen Antragstellern gut vertraut sein dürfte. Flankiert wird sie von zwei Plakaten, die die Aufteilung der Betroffenen in verschiedene Untergruppen, sowie mit den Prozeduren verbundene Disziplinierungstechniken nochmals illustrieren. Ein weiteres Poster verweist auf eine der in den Medien häufig diskutierten Zugangsberechtigungen, den „Integrationskurs Deutsch”, der – wie bereits erwähnt – eine weitere Form der Diskriminierung und Kontrolle darstellt. Auch mit diesem Interieur will die Künstlerin die unfreundliche Atmosphäre nochmals in Erinnerung rufen, in der sich die Geringschätzung der Adressaten sinnlich ausdrückt.
Diese im Inneren des Kastens angebrachten Materialien, die also auf reale Praktiken der Einbürgerung in Deutschland verweisen, werden nun konterkariert durch das Äußere des Objektes, dessen Aufschriften eine Dienstleistung propagieren, einen „Global Immigration Service” eben, den es in diesem Land nicht gibt. Für die Bewohner dieses Landes mag es denn sogar erstaunlich sein, dass eine solche Dienstleistung in den USA etwas ganz Gewöhnliches darstellt und dort in verschiedenen Shops im Grenzbereich zu Mexiko ganz selbstverständlich angeboten wird. Solche Shops sind Heuck bei einem Aufenthalt in San Diego aufgefallen, und sie hat Elemente der dort verwendeten Werbedisplays als eine Art von partiellem Readymade für ihr Objekt adaptiert. Sie musste also der angeblichen Alternativlosigkeit bei den Integrationsprozeduren wiederum nicht mit bloßen Wunschphantasien begegnen.
Am Kottbusser Tor, wo das Objekt im Sommer 2008 aufgestellt wurde, konnten sich die dort zahlreich verkehrenden Migranten in der Absurdität der Bedingungen ihrer nationalen (Inklusion durch) Exklusion wahrgenommen fühlen, und etwa die Antwort eines Passanten auf die Frage, was das denn sei, nämlich „ein Denkmal gegen die rassistische Behandlung von Ausländern”, bestätigte diese Vermutung.
Der Blick wird aber nicht auf die unmittelbaren behördlichen Zumutungen für einen großen Teil der Migranten oder das kontrastierende deutsche Zwei-Klassen-System reduziert, sondern es werden in der Arbeit auch noch andere, tiefer im Hintergrund unserer gesellschaftlichen Existenz liegende Faktoren hinterfragt. Vor allem auf das globale System der Nationalstaaten und ihrer mehr oder weniger virtuellen Grenzregelungen reflektiert die Erscheinungsform des Objekts als Wachturm.

Die Paradoxien und die gelegentlichen historischen Willkürakte im Zusammenhang mit Grenzziehungen konnte Heuck bei einer weiteren Aufstellung noch stärker hervorheben, nämlich in Bruneck (Italien, ebenfalls 2008). Hierfür wurde der „Global-Immigration”-Turm äußerlich unverändert belassen, nur das „Innenleben” komplett ausgewechselt. Der thematische Fokus richtete sich nun auf die Besonderheiten der sprachlichen Minderheit der Südtiroler, die nach einer langen und leidvollen Geschichte der Ausgrenzung mittlerweile von der Integration Italiens in die EU profitiert haben und eine vergleichsweise bequeme Form der Integration erleben durften. Dokumente zu dieser Geschichte kombinierte Heuck aber nun mit Dokumenten zur aktuellen Situation von Nicht-EU-Immigranten, deren Zugang und Aufenthalt vom Schengen-Abkommen beschränkt wird. Die sich aufdrängende Frage könnte daher auch hier die nach den Gründen für die Privilegierung einer Gruppe gegenüber anderen sein, was dem demokratischen Gleichheitsgrundsatz widerspricht und angesichts der offensichtlichen Problemlosigkeit der Integration einer deutsch sprechenden Gruppe in einen italienischen Nationalstaat, auch jene gegenüber Anderen vorgebrachten Integrationsprobleme als Begründung für deren Ausschluss entkräftet.
Die Vermutung, dass genau in diesen institutionell verankerten Strukturen und ihrer Unvereinbarkeit mit dem demokratischen Selbstbewusstsein der Bürger, die Ursache für jene Formen der Verkennung, der phantasmatischen Projektionen und der Exklusion zu suchen ist, die sich bis zu Gewaltakten steigern kann, wurde bereits mehrfach geäußert. (Anmerkung: vgl. exemplarisch Slavoj Zizek, Living in the End Times, London 2009) Und es wurde auch überzeugend argumentiert, dass den damit verbundenen Phänomenen nur der Begriff des Rassismus angemessen ist. Die Leistung der vorgestellten Arbeiten von Farida Heuck besteht darin, diese Ursachen in den Mittelpunkt zu rücken, und sich nicht von den Absurditäten der kulturellen Vorurteile irritieren zu lassen, sondern den Blick auf deren strukturelle Voraussetzungen zu richten.

Anschließen könnte man die Frage, welche Motive beispielsweise Staatsapparate oder mediale Öffentlichkeiten bestimmen, solche Regelungen einzuführen und an ihnen festzuhalten, während Ansätze zu besseren Lösungen nicht gerade engagiert verfolgt werden. Auch wenn man der Bürokratie eine ursächliche Funktion bei der Erzeugung rassistischer Urteilsbildungen zuerkennen muss, operiert sie nicht unabhängig von diskursiven Formationen und den sie begleitenden Vorstellungen. Die konkreten Ausprägungen der Regierungspraxis und ihre Ungereimtheiten im Feld der Kunst vorzuführen und unter Anklage zu stellen, könnte gegenüber der starren Ordnung der politischen und unpolitischen Dinge daher schon eine wirkungsvolle Form des Protestes sein.

Newsletter

Michael Hauffen

derzeit noch nicht aktiv, bitte versuchen Sie es später wieder