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Making Mirrors


Der Anspruch aufgeklärter Zeitgenossen, als die sich weltoffene Bewohner des Global Village verstehen, schließt die abstrakte Anerkennung gegenüber sogenannten migrantischen Hintergründen ebenso ein, wie die Gleichbehandlung von Menschen verschiedener Hautfarbe. Sobald es aber konkret wird, und um praktische Beziehungen geht, macht sich der alltägliche Rassismus bemerkbar, auch wenn sich dies nur in subtilen Nuancen von Vorurteilen und unbewussten exotischen Phantasien äußert. Die Irritationen im Verhältnis von Ansprüchen und ihrer Erfüllung verstärken sich noch, wenn Menschen, die nicht der Norm weißer Hautfarbe entsprechen, anstatt sich in die für sie vorgesehenen Rollen zu fügen, ihre negativen Erfahrungen selbstbewusst thematisieren, beziehungsweise kritisch Stellung nehmen und damit „unsere” Ideale auf ihre Art einklagen.
Auf einmal werden dann vertraute Klischees nicht nur fragwürdig, sondern die Frage der Verantwortung für ihre Permanenz wird in vielen kleinen und unscheinbaren Gesten und Handlungen erkennbar. Ist es etwa selbstverständlich, dass Leute die seltene afrikanische Namen haben, diese grundsätzlich mehrfach buchstabieren müssen, was ja bedeutet, sie in eine mehr oder weniger lange Reihe deutscher Namen zu übersetzen? Diese Frage stellt sich jedenfalls Sonia Barrett
und steuert gleichzeitig zwei Objekte zu dieser Ausstellung bei, die deren Titel „Making Mirrors” wörtlich zu nehmen scheinen, wenn sie für jeden Buchstaben des Alphabets einen Handspiegel in einem vergrößerten Typenrad anordnet, so dass sich diese Namen zumindest symbolisch in ganz individuellen Gesichtern auflösen.
Dass im Hintergrund aller dieser alltäglichen Unstimmigkeiten behördliche Gewaltstrukturen stehen, führt Wolfram Kastner deutlich vor Augen: Er stellt Szenen nach, die eine polizeiliche Handlungsanweisung umsetzen, wonach Personen, die dem „Südländer Typ A” entsprechen, mit besonderer Härte zu behandeln sind. Farida Heuck fasst die strukturelle Gewalt, die von derlei behördlichen Vorgaben ausgeht, in prägnante Formulierungen und druckt sie auf T-Shirts, wobei es auch ihr darum geht, Auswirkungen auf alltägliche Klischees bewusst zu machen. Wie solche Klischees dann funktionieren, ist allerdings schon schwerer zu verstehen.
Ein Experiment von Dave Ball und Oliver Walker vergegenwärtigt das auf die eindrücklichste Art und mit einem genialen Setting: Vier Personen halten ein Tischgespräch ab, aber die von ihnen gesprochenen Worte sind nicht ihre eigenen, sondern werden ihnen von einem jeweils unsichtbar in einer Kabine sitzenden und die Szene per Videokamera verfolgenden Beobachter souffliert. Somit sprechen also vermittelt über ihre Repräsentanten vier Personen miteinander, die gänzlich unsichtbar bleiben. Die Ebene nonverbaler Kommunikation verselbständigt sich und gerät aus den Fugen. Auch wenn die meisten TeilnehmerInnen des Experiments die daraus resultierende Verwirrung spielerisch ausgekostet und genossen haben, wird dennoch klar, dass es die Vorstellungen und Konditionierungen, die unterschwellig in jedem Gespräch mitlaufen, in sich haben, und den Verlauf der Kommunikation entscheidend prägen. Rajkamal Kalohn bietet eine exemplarische Erklärung durch seine Verweise auf das offizielle Malbuch „Coloring Germany” an, das an Kinder von Migranten verteilt wird, und typische Klischees zementiert. Sogar wenn er sie dann kritisch parodiert, bestätigt er sie noch, in dem er vorhandene Fronten explizit macht.
Analog vergleicht Danielle Daude verschiedene Inszenierungen der Rolle der Carmen in der gleichnamigen Oper und stellt fest, dass es einen klaren Trend gibt, diese mit einer schwarzen Sängerin zu besetzen – ein deutlicher Beleg dafür, dass hier ein Transfer von Symbolen und Zurechnungen über die Hautfarbe stattfindet und performativ bekräftigt wird. Auch Wayne Hodge, der die Figur der Cleopatra aufgreift, und mit ihr in einen provokativen Dialog tritt, unternimmt den Versuch, eine historische Gestalt und den Bezug auf ihre Hautfarbe, als Topos zu fokussieren, durch den rassistische Vorurteile einen verklärten Ausdruck finden. In einer multimedialen Performance erweitert Manuela Ritz den Kontext noch durch die Bedeutung der Medizin und fragt, was es bedeutet, wenn einer Afro-Amerikanerin ohne deren Wissen Tumor-Zellen entnommen werden, und die Medizin revolutionieren?
Diesen eher analytischen Arbeiten begegnen Serfiraz Vural und Pasquale Rotter mit einer Tanzperformance, deren Poetik darin besteht, die Logik der im Umgang mit rassistischen Symbolen wirksamen Bilder zu beeinflussen, sie umzuinterpretieren oder an ihren verschiedenen Nahtstellen zu irritieren, so dass daraus ein erweiterter Erfahrungsraum gewonnen werden kann. Wenn sich dagegen Philip Metz an die Tagträume seiner Jugendzeit erinnert und sich mit fotografischen Mitteln nachträglich als hellhäutig portraitiert, oder einen Berg weißer Kreide ausstellt und damit auf kosmetische Praktiken anspielt, wird man daran erinnert, dass es viele Versuche gibt, dem Problem auf individueller Ebene zu begegnen, die aber nur selten erfolgreich sind.
Eine der frühen Ausnahmen von diesem Gesetz war die Tänzerin Josephine Baker. Sie war berüchtigt für ihre kompromisslose Ablehnung rassistischer Ideologien und kämpfte in der Résistance. Jean-Ulrick Désert verehrt sie deshalb als „Goddess” und widmet ihr eine Art von Andachtsstätte, die aus dem Showbusiness vertraute Requisiten adaptiert, um einer singulären Gestalt mit einer authentischen Geste der Huldigung zu begegnen. Vor einem überdimensionalen grellroten Samttuch sind in kreisförmiger Anordnung zahllose silberne und einige goldene Medaillen mit dem Portrait Josephine Bakers montiert, die die Konstellation des Pariser Sternen- und Planetenhimmels vom 12. April 1954, also von genau jenem Moment darstellen, in dem ihr Leben endete.

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Michael Hauffen

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