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Lizzie Fitch / Ryan Trecartin – SITE VISIT


Ein Ausstellungsbesuch ist nicht zuletzt auch ein Besuch. Man besucht eine Ausstellungsstätte. Heute ist der Besuch nicht mehr zwingend, denn es gibt ja die zeit- und energiesparende Möglichkeit, via Internet die ausgestellten Dinge zu besichtigen – aber halt! – das ist ja auch ein „Besuch”: zumindest der Ausdruck SITE VISIT, mit dem diese Ausstellung hier überschrieben ist, würde in beiden Fällen zutreffen.
Die Stätte, die sich dem realen Besucher der Kunstwerke diesmal darbietet, besteht vor allem aus einem großen Projektionssaal und einer elektronischen Geräuschkulisse, die selbst den Boden spürbar erbeben lässt. Schon vor dem Eintreten durch eine der Lichtschleusen mit dem üblichen schwarzem Vorhangstoff, nimmt man die nicht gerade einladenden Geräusche überdeutlich wahr, die von knackendem Holz dominiert sind, so als ob gerade ein Wald brennt. Dem ersten Blick in die Räume hinter dem Vorhang bietet sich dann aber überraschenderweise keine chaotische Installation, sondern zunächst eine vollkommen aufgeräumte Leere, die in Form einer Reihe von überdimensionalen Sesseln sogar beinahe zum Verweilen einlädt. Dahinter wartet der große Saal mit weiteren großzügigen Sitz- und Liegemöbeln auf: die bestmögliche Voraussetzung, sich auf eine extensive 6-Kanal-Videoprojektion einzulassen.
Die Anordnung der Projektionsflächen ist laut Erklärung der Künstler der Anordnung von Lautsprechern einer 5.1 Surround Sound Anlage nachgebildet, wobei man aus verschiedenen Richtungen derart beschallt wird, dass ein voller audiophoner Raumeindruck entsteht – jedenfalls bei statischen Rezipienten. Auch unter Berücksichtigung dieses medialen Konzepts bleibt allerdings die sinnliche Überforderung, die in der Unmöglichkeit liegt, alle sechs Projektionsflächen simultan wahrzunehmen, was bei der entsprechenden akustischen Konstellation kein Problem darstellt. Mit Hinblick auf das Videomaterial liegt das zudem daran, dass die Aufnahmen systematisch ruckeln, stolpern oder unvermittelt abbrechen. Über die verschiedenen Screens gibt es zwar einen losen inhaltlichen Zusammenhang, der aber das Erfassen des jeweiligen Handlungsgeschehens nur in einem atmosphärischen Sinn erweitert.
Immerhin lassen die Videosequenzen eine narrative Linie erkennen: es handelt sich durchweg um Szenen in geschlossenen Räumen, die irgendwo zwischen Theaterfoyer, Lagerhalle und Heizkeller angesiedelt sind, und die Kamera folgt verschiedenen Gruppen junger Akteure bei mehr oder weniger abenteuerlichen Versuchen, sich im Labyrinth eines diffusen Begehrens und im Streben nach Selbstbehauptung zu orientieren.
Zumeist sprechen die Akteure, wenn auch nur teilweise verständlich, und bewegen sich durch dunkle oder grell erleuchtete Räume verschiedenster Dimensionen, wobei sie auch Verbindungsgänge, Stahltüren oder Treppen zu überwinden haben. Manchmal zerschlagen sie auch das Mobiliar, das sie generell mit wenig Respekt behandeln. Die Szenen haben einen lockeren Charakter, wirken eher experimentell und fragmentarisch, und die Akteure schwanken zwischen der naiven Einhaltung stupider Regeln, wie man sie etwa aus Spieleshows kennt, der Lust an Travestie und Maskerade oder dem laufenden Kommentar. Es ist wie ein Ausprobieren verschiedener Optionen und Formate, das jedoch zu keinem Ergebnis kommt, und daher schließlich den Eindruck von Banalität hinterlässt. In Verbindung mit den Brechungen, die durch die dilettantische Aufbereitung des Filmmaterials erzeugt werden – wozu noch gelegentliche Zutaten trashiger Virtual-Reality-Elemente kommen – erhält das alles einen stark plakativen oder dekorativen Stellenwert. Gut vorstellbar wäre, dass es sich um den audiovisuellen „Ambient” einer Disco handelte, auch wenn dazu der Barbetrieb, die Tanzfläche und das Publikum in Feierstimmung fehlt.
Die Ausstellung bildet eine Art große Höhle, und wegen der Dunkelheit, des durchdringenden Geräuschpegels und der raumgreifenden Projektionstechnik lässt sie sich auch als ein Ganzes wahrnehmen, in das man eintaucht wie in eine andere Welt. Codiert ist dieses Innen als eine Art subkulturelles Camp, das sich jedoch vom Mainstream der Generation Facebook und ihren medialen Selbstdarstellungsgewohnheiten nicht allzu weit entfernt. In diesem Kontext erscheinen auch die destruktiven Momente, bzw. das angedeutete Desaströse (Waldbrand, fernes Grollen, unkontrollierbare Videotechnik) nur als Mittel zur sensorischen Erregung, als genau dosierter Adrenalintrigger oder als schnell wirkende Kompensation für einen Alltag übermäßiger Selbstkontrolle.
Im Resultat bewirkt das den Eindruck einer hektischen Leere, in der keine Revolte versucht, sondern mit Klischees gespielt und ein absurder Aktionismus in Szene gesetzt wird, wobei der Anspruch nach Reflexion ebenso wie der Wunsch nach ästhetischer Intensität im flimmernden und dröhnenden Mediengewitter schlichtweg betäubt wird.
Der reale Besuch steht somit als paradigmatisch für viele Eindrücke eines umkämpften Feldes medialer Aufmerksamkeit, egal auf welchem Kanal, die bei den Adressaten das Gefühl nicht erfüllter Erwartungen hinterlassen. Kreativität dient dabei vor allem der Zurschaustellung mentaler Ressourcen und untermauert die symbolische Macht ihrer Besitzer oder Auftraggeber. Demgegenüber sucht SITE VISIT in die Subkultur und in ein Spiel um seiner selbst willen abzutauchen, verfehlt aber den Punkt, wo die eigenen Voraussetzungen in Bewegung geraten und die Außenseiter-Perspektive unterschwellige Strukturen des Mainstream aufdeckt. Immerhin ist es allerdings schon interessant über den Schritt von der bloßen Videoproduktion und ihrer Kommunikation über das Internet hin zu einer Präsentation in einer öffentlichen Institution mit eigenen Räumen und Mitteln noch einmal neu nachzudenken, wie es der Titel dieser Ausstellung nahe legt, und die besonderen Chancen der jeweiligen Umgebungen, sowie die möglichen Arten und Weisen, sie auszuloten und wahrzunehmen, als Gegenstand einer Auseinandersetzung zu markieren.

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Michael Hauffen

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