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Mapping along. Ränder des Widerstreits aufzeichnen


Mapping ist eine Methode der zweidimensionalen Darstellung von Aspekten der Wirklichkeit und bildet etwa Nachbarschaften, Netzwerke oder auch Konfliktzonen ab. Ihre Ursprünge dürften in der Fixierung von Macht- und Besitzansprüchen liegen. In Höchstform sehen wir sie heute als allgegenwärtige digitale Kartierungen – algorithmisch korrelierte und visualisierte Daten, die sozialen Kontroll- und Steuerungsprozessen dienen.

Demgegenüber haben sich diverse alternative Adaptionen des Mapping herausgebildet, die der Entfaltung nicht-normaler Dynamiken zum Ausdruck verhelfen wollen, und dabei die rein graphische Ebene in Richtung Diskurs, Spiel oder sogar Performance auch mal überschreiten können.

Die Ausstellung »Mapping along« signalisiert schon im Titel, dass es um einen solchen erwei-terten Zugang zu Situationen und Potentialen geht, die weder statisch noch statistisch fassbar sind. Die Gruppe metroZones bearbeitet seit langem vor allem urbanistische Themen und konzentriert sich nun im Überblick auf diese häufig verwendete Methode als einer visuellen Schnittstelle, die nicht nur zwischen verschiedenen Projekten, sondern auch zwischen sozialen Milieus, Gruppierungen, politischen Bruchlinien und ästhetischen Freiheiten vermittelt.

Brandaktuell ist etwa das Projekt »Die Stadt als Byte«, in dem konkrete Auswirkungen des zunehmenden Einflusses von Softwarefirmen und Plattformökonomien auf eine Stadt untersucht werden, die sich wegen ihrer Freizügigkeit und ihrer kreativen Kulturen für Gentrifizierung und Übernahme durch große Kapitalanleger besonders attraktiv erweist. Verschiedene Diagramme zeichnen dann etwa nach, wie die Firma Amazon fast unmerklich ihre Strukturen in der Stadt etabliert, wobei zunächst der Umweg über Stützpunkte im Nachbarland Polen und nun ein großes Depot am Rande der Stadt als Vorstufen dienten. Inzwischen wird aber bereits die Errichtung eines 170-stöckigen Hochhauses an der Warschauer Brücke geplant. Der Fotojournalist Tytus Szabelski hat sowohl die Spuren der entstehenden Lieferketten im geografischen Kontext nachgezeichnet, als auch damit verbundene Arbeitsbedingungen als vermeintlicher Ferienjobber erkundet. Das und noch mehr wurde auf zwei großen Vorhängen grafisch nachgebildet: eine Fülle von Einzeldaten, in oft makabrer Widersprüchlichkeit miteinander verflochten.

Passend dazu bietet das Projekt »Property and everyday life in Oranienstrasse« auf detaillierten Plänen die Historie einer der bekanntesten Straßen Berlins, deren heutige Existenz jenem nicht weniger bekannten Häuserkampf zu verdanken ist. Gleich gegenüber wird die Geschichte eines ähnlichen urbanen Brennpunkts dokumentiert, der South Street in Philadelphia, deren Charme ebenfalls in der kleinteiligen Vielfalt lokaler Produktions- und Konsumstätten bestand. Hier wie dort lösten die Übergriffe großer Investoren breites Engagement für die Verteidigung selbstgeschaffener Lebensräume aus.

Christoph Schäfers plakative Zeichnungen reagieren darauf radikal kritisch und hintergründig. Mit Texten oder symbolhaften Elementen erzeugt er rhizomatische Verweise und nimmt jene sozialen Nebenwirkungen unseres Handelns ins Visier, die sich hinter unserem Rücken vollziehen und schließlich gegen uns richten.

Neben der Konfrontation mit komplexen Sachverhalten eignet sich Mapping auch bestens zur Steigerung subjektiver Sensibilität, indem zuvor aufgezeichnete Eindrücke mit ihrer Re-Lektüre rückgekoppelt werden. In zahlreichen Videos erklären Autor*innen ihre eigenen Mappings und teilen so ihren nicht-alltäglichen Beobachtungsmodus mit dem Publikum. Christian Hanussek nutzt diese Ansätze im Langzeitprojekt »Hellersdorfer Tapete«, um einen scheinbar wenig attraktiven Stadtteil im Osten Berlins auf neue Art zu entdecken – frei von stigmati-sierenden Vorurteilen und frei von profitorientierter Propaganda. Die Tapete dient dabei als ornamentale Struktur, die es erlaubt, singuläre Momente hierarchiefrei anzuordnen. Als Prinzip der Materialisierung von flüchtigen Momenten im öffentlichen Rahmen wird sie bereits auch in anderen Projekten verwendet. Komplementär dazu lässt sich Larissa Fasslers investigatives Eindringen in die Mikrostruktur der Örtlichkeit »Gare du Nord« verstehen, dessen Resultat ein von ihr selbst kommentiertes Video präsentiert. Die Künstlerin hat dort nicht nur viel Zeit verbracht, sondern auch minutiös scheinbar banalste Details und Beobachtungen kartographiert, wodurch sich die funktionale Einrichtung des Verkehrsknotens nun als Palimpsest überbordender Vitalität erweist.

Bei Diana Lucas-Drogan entstehen Mappings in Zusammenhang mit einer Kleiderperformance, die als Intervention den teilprivatisierten Außenraum von Hellersdorf und die dort herrschenden Konventionen provokativ gegen den Strich bürstet. Ihre parallel dazu angefertigten Mindmaps werden für die Ausstellung wieder auf die improvisierten Kleider projiziert.

Bei aller Konzentration auf lokale Besonderheiten mit ihren Nischen und ihrem Detailreichtum darf heute der Blick aufs Globale nicht fehlen. Mehrere Arbeiten haben mit der Flüchtlingsproblematik zu tun. Im weitesten Sinn gilt das auch noch für Daniel Kötters Videotableau mit 58 Smartphones. Die Aufnahmen dafür entstanden bei mehrjährigen Recherchen an verschiedenen Orten in China und Afrika und sie zeigen wie die nachhaltigen Investitionen der asiatischen Großmacht die Entwicklung in Teilen des Kontinents begünstigen, von dem wir ganz andere Bilder gewohnt sind. Man kann sich kaum daran satt sehen und die provokative Frage, die dem gegenübergestellt wurde, »And Europe?«, kann auch auf die gesamte Ausstellung ausgeweitet werden. Denn nicht zuletzt wird hier nach einem »General Intellect« gesucht, also nach subjektiven und kommunikativen Ressourcen, ohne die die westliche Gesellschaft und ihre demokratischen Errungenschaften den Herausforderungen der nächsten Krisen nicht gewachsen sein werden.

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Michael Hauffen

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