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Erró - political painting


Die Bilder des Künstlers Erró zeichnen sich durch großzügige Verwendung von Material aus, das der Welt der Comics entstammt. Zu sehen ist jetzt eine zusammenfassende Ausstellung seines Werks, das in den letzten 20 Jahren in der Bundesrepublik kaum mehr aufgetaucht ist. Es bietet die Möglichkeit darüber nachzudenken, inwieweit die Ausgrenzung von Elementen der Trivial- bzw. Vulgär-Kultur aus einer Kunst mit hohem Anspruch heute noch vertretbar ist.
Erró, eigentlich Gutmundur Gudmunsson, ist 1932 in Island geboren und hat bis zu seinem Umzug nach Paris eine Reihe von Ausbildungen an verschiedenen europäischen Kunstakademien absolviert. Bereits in seinen frühesten Bildern ist aber traditionelle Malerei einer Technik der Collage untergeordnet, die Fundstücke aus Illustrierten verwendet. Eines seiner Lieblingsmotive scheint schon damals - ganz in der Tradition des Surrealismus - der unheimliche Kontrast zwischen den Bildern von (zumeist weiblicher) Schönheit und einer sich hinter anonymen Formen verbergenden Technik gewesen zu sein. Bei mehreren Aufenthalten in New York stößt Erró auf die von den Künstlern der Pop Art verwendete Methode, kleine Motive mittels Projektion zu großen Leinwänden aufzublasen.
In einer daraufhin (ab 1968) entstehenden Serie von Bildern mit dem Titel „American Interior” rückt die plakative Wirkung großer Formate, das Großzügige als suggestives Element des amerikanischen Traums an die Stelle des beargwöhnten Idealbildes. Wenn er beispielsweise ein sauberes Schlafzimmer mit Blick in einen Garten abbildet und damit den Stil eines Roy Lichtenstein aufgreift, so tut er das nicht, ohne die hinter dieser Normalität versteckte Gewalt durch einen wiederum collageartigen Eingriff zu entlarven: aus dem Garten blicken den Betrachter vietnamesische Guerilla-Kämpfer an, die den Agitationsplakaten der Vietcong entnommen sind. Beide Bildelemente, die sich hier ausgesprochen fiktiv gegenüberstehen, repräsentieren also nur jeweils gesellschaftliche Positionen, zwischen denen Einigung nicht möglich ist, so daß auch die Einheit, die ein Bild suggeriert, nur wie ein Witz wirken kann. Oder anders ausgedrückt wird der Betrachter im Sinne der Avantgarde in der Erwartung einer kontrollierbaren Bildaussage enttäuscht.
Analog wird in einem anderen Bild von 1968 der schöne Schein von Sicherheit, den ein blitzblank geputztes luxuriöses Badezimmer widerspiegelt, von einem darin mit dem Vergraben einer Mine beschäftigten Partisanen boykottiert. An dieser Stelle entsteht der Eindruck, daß der Titel der Ausstellung, „political painting”, auf eine Kunst verweist, die sich damit begnügt, das westliche Ideal des amerikanischen Traums nach dem Schema maoistischer Agitation zu denunzieren. In dieser Richtung könnte die Tatsache interpretiert werden, daß der Katalog, der 1972 zu einer Ausstellung dieser und anderer Bilder Errós in Aachen erschien, äußerlich einer „Mao-Bibel” glich. Offen bleibt aber zunächst, inwieweit sich der Künstler mit diesen Gesten identifiziert, inwieweit sie also Ausdruck eines Ressentiments sind. Immerhin ist hierbei auch eine gewisse Portion provokativen Humors im Spiel, die sie von der aus jener Zeit bekannten Art von mechanischer Dialektik unterscheidet. Und im zuletzt genannten Bild kommt bereits ein weiteres Detail hinzu, das die lehrbuchmäßige Antithese stört: von rechts ins Bild ragt eine Speerspitze, an der die Karikatur eines US-Soldaten (sein Helm fällt gerade ins Klo) hängt, und der in der Hand eine Bombe hält. Der Blick des Partisanen geht in die andere Richtung, so daß wir, die Betrachter des Bildes, die einzigen Zeugen dieses komischen Vorgangs sind.
Bis heute scheint aber Erró von einer stur pädagogischen Dialektik nicht loszukommen. Die Ausstellung bietet auch aus den letzten Jahren eine reiche Auswahl an Motiven, in denen Nazi-Propagandamaterial konfrontiert wird mit Zitaten aus amerikanischen „Comix”, also solchen, die mit der Protestbewegung entstanden sind. Deren libertärer Umgang mit sexistischen Phantasien stellt eine Art vulgär-freudianischer Interpretation jener faschistischer Menschenbilder dar, die sich aus mehr oder weniger deutlichen Analogien in der jeweiligen Bildstruktur ergibt (z.B. zum Führer-Gruß aufgerichtete Hand - aufgerichteter monströser Penis). Man wird aber vermuten dürfen, daß der Künstler in keiner der beiden Darstellungen von Männerphantasien seine Wünsche erfüllt sieht. Eine weitere, allerdings inzwischen offenbar nicht mehr weitergeführte Linie in Errós Werk bilden Ölgemälde im klassischen Stil, die vor dem Hintergrund internationaler Sehenswürdigkeiten jeweils malerisch verklärte Idealfiguren maoistischer Visionen zeigen. Falls der von ihnen repräsentierte Traum einmal die eigene Position begründet haben sollte, dann dürfte sich das inzwischen in nichts aufgelöst haben.
Vielleicht bildet genau das die treibende Kraft für die übergeordnete Bedeutung, die eine dritte Linie in der Entwicklung dieses Werks gewinnt, eine Linie, die es von den ersten Collagen über die oben beschriebene Verarbeitung der Pop Art bis heute durchzieht, und die es von platter Pädagogik deutlich abgrenzt.
Ausgehend von einem klassisch perspektivischen Raum als einer Matrix, die durch architektonische Details wie kolossale offene Bogengänge weniger auf ihre griechischen Vorbilder, als auf deren Aneignung durch historisch spätere Machtgebilde verweist, werden durch die Einschreibung heterogener Fundstücke, zumeist aus internationalen Comics, nicht mehr nur einzelne Tatsachen als trügerisch entlarvt, sondern die Vorstellung einer abgeklärten Repräsentation des Weltgeschehens als Ganzem wird systematisch ins Lächerliche getrieben. Wo sich die Welt als Tollhaus zeigt, droht aber die Gefahr als Subjekt die Fassung zu verlieren. Aber daß das nicht unbedingt zur Flucht in Sentimentalitäten führen muß, beweist Erró, indem er in einer Weise, die an Goyas „Schlaf der Vernunft” erinnert, den klassischen Raum sprengt, und dem Alptraum nicht mehr Bilder idealer Wahrheit entgegenhält, sondern sich ihm als einer Wahrheit an sich aussetzt.
Die Welt ist ein Krieg und spielt sich nicht nur in Zeit und Raum, sondern vor allem in Bildern ab, die ihre Wahrheit zwar enthalten, aber auch verbergen. Abgesehen davon, daß Comics alle Aspekte unseres heutigen Daseins verarbeiten, eignen sie sich für diese Reise in die Unterwelt, weil sie uns durch das Moment des Humors von erdrückenden Ansprüchen entlasten. Es ist aber vor allem einem gelungenen Balanceakt zu verdanken, wenn der damit erzeugte Rausch weder süchtig macht, noch zur Erstarrung führt: Zwischen dem Witz, mit dem verschiedene Elemente auch auf den monströsesten Tableaus kombiniert sind, und dem Schrecklichen, das sie enthalten. Und welches „höhere” Ziel könnte Kunst wohl erreichen?

Ein Ausstellungskatalog, herausgegeben von Hans Joachim Neyer, ist im Verlag Gerd Hatje erschienen: 104 Seiten, DM 40,-.

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Michael Hauffen

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