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Angela Bulloch – Superstructure


Kunst als eine Form der Anarchie zu begreifen, mag auf den ersten Blick banal erscheinen. Aber im Gegensatz zu Leitbildern wie dem Akademischen oder dem Marktgerechten mit ihren zweifellos geisttötenden Folgen, gehen von subversiven Orientierungen – jedenfalls unterschwellig – kontinuierlich starke Impulse aus.
Angela Bullochs Geste eine Sammlung prägnanter Statements unter der Überschrift „Anarchy” an hervorgehobener Stelle zu plazieren, kann darum zunächst als Zeichen einer Distanzierung von Standards gelesen werden, die sich in Mode und Design hinter dem jeweils Neuen regelmäßig verbergen.
Sätze wie „Eigentum ist Diebstahl” (Proudhon) oder „Wünsche nicht ein General, Senator oder Consul zu sein, sondern frei” (Epiktet) sind nach wie vor aktuell. Für raffinierter getarnte Machtwünsche ist allerdings eine genauere Unterscheidung nötig – wenn nämlich aus der ursprünglich richtigen Idee „ein neu verpackter und marktgerechter Anarchismus, eine lockere Glaubensgemeinschaft für akademisch orientierte Quietisten und egoistische Pressure-Groups” wird (Meltzer). Im Kunstkontext ein bekannter Mechanismus: daß ursprünglich radikale Ansätze im Nachhinein zu Zeichen exotischer Genialität verklärt werden.
Angela Bulloch gehört aber nicht der Sorte von KünstlerInnen an, die auf derartige Gefahren mit ängstlichen Ressentiments reagieren. Das wird gleich beim Betreten der Ausstellung sinnfällig, wo die BesucherInnen eine Sitzgruppe aus großen Sitzsäcken („happy-sacks”) erwartet. Der im Kunstkontext tendenziell zwanghafte Konflikt zwischen Ikonografien der Macht und visueller Opposition wird ohne viel Aufhebens übersprungen, und man landet direkt in einem weichen Ambiente, das die Gelegenheit bietet, sich selbst oder andere BesucherInnen kennenzulernen. Ergänzend wird das akustische Konzentrat einer Techno-Party über Kopfhörer angeboten, das mit seinen minimalistischen synthetischen Strukturen, den gelungenen Coup einer Verschiebung des musealen Terrains hin zu einer gespannten „post”-visuellen Offenheit abrundet. Auch meditative Aura kommt keine auf, denn die Installation wurde in die Umgebung einer ständigen Sammlung von Gegenwartskunst nur implantiert, was ihr weniger einen exklusiven als vielmehr einen operativen Charakter gibt. Blickt man von der somit definierten (Operations-)Basis in deren „Umwelt”, kann es einem deshalb ohne weiteres so erscheinen, als ob einen das Textbild „I want to be your dog” von Christopher Wools traurig anschaut. Vielleicht kommt das Gefühl, in dieser Umgebung die Rolle des getriebenen Kulturnomaden abstreifen zu können, einfach daher, daß man sehr bequem sitzt – aber vielleicht ist auch ein entscheidendes Quantum mehr im Spiel.
Viele der anderen Arbeiten, die Bulloch in dieser ihrer bisher größten Retrospektive zusammengestellt hat, arbeiten mit der entschiedenen Ignoranz aufgeladener visueller Zeichen. Wenn sich etwa in einer Reihe großer weißer Ballonlampen, die an einer Ausstellungswand befestigt sind, bei jedem Kontakt mit einer Fußmatte die Konfiguration von hellen und dunklen Lampen ändert, dann wird niemand in optische oder intellektuelle Betroffenheit geraten – eher schon ist es der Charme, den eine bestimmte Stupidität ausstrahlt, wenn sie im Umfeld übertriebener intellektueller und kultureller Beflissenheiten auftritt.
Das berührt wieder das Problem von Ordnung versus Anarchie in der Kunst. Denn wo die Ordnung nur noch von übertriebenen Ansprüchen kontrollierter Rationalität getragen wird – und das kommt in der Arroganz intellektuellen Kapitals oft sehr präzise zum Ausdruck – wächst die Legitimität von Verweigerung. Freisetzung kreativer Potentiale ist aber ohne die Erschließung körperlicher Sensibilität und die Destruktion erstarrter Konventionen nicht zu haben. Angela Bulloch formuliert es so: „Oft wird durch eine zu penible Beschreibung der Dinge die Erfahrung mit ihnen zerstört; Du denkst dann, daß Du verstehst wie das System funktioniert. Genau das zerstört den Teil der Arbeit, der darin besteht, das System von innen zu erfahren.”
Ignoranz gegenüber den Regeln in diesem Sinn bedeutet jedoch nicht sie aus dem Denken zu verdrängen. Vor allem wenn sie bereits weitgehend internalisiert sind, kann es nicht schaden, sie sich einmal genauer anzuschauen. Mit ihrer „General Wall of Rules” zitiert Bulloch wirklich stupide Regeln (entdeckt in einem Amusement-Center) in Form einer Wandmalerei. Um die Macht der Regeln zu brechen, setzt sie also an mehreren Stellen zugleich an, bis hin zu einem strategischen Crossover.
So ist es auch zu verstehen, wenn der Höhepunkt der Ausstellung in Zürich, die Rauminstallation „superstructure”, darauf angelegt ist, verschiedenste Elemente von Bullochs Arbeit in ein Gesamtkunstwerk zu integrieren. Aus den Sitzsäcken ist hier eine überdimensionale Sitzskulptur geworden, die mit unsichtbaren Schaltflächen vollgestopft zu sein scheint. Zusammen mit weiteren als Schaltern fungierenden Fußmatten, die wie Inseln im Raum verteilt sind, sowie Lichtschranken und Computern wird das Verhalten der Menschen, die sich in diesem Raum aufhalten und bewegen, für die Steuerung musikalischer Programmabläufe verwendet. Besonders bei der Eröffnungsperformance konnte damit von allen Beteiligten experimentiert werden: Ein großes Publikum als teilweise anonyme Menschenmenge, großzügiger Umgang mit roter und brauner Farbe und tiefen Tönen (erzeugt von 5 Rock-BassistInnen), und weiche Sitz- und Liegemöglichkeiten erlaubten angesichts des Eigenlebens der Schalter und Verbindungen ein kollektives Spiel mit dem Zufall.
Anarchie als Programm für eine „Wunschmaschine”, die die Macht jener anderen Superstruktur, des kapitalistischen Systems, unterläuft? – in diesem Fall ist es jedenfalls kein medientechnischer Fanatismus, der sich auf Kosten anderer Lebensentwürfe auszubreiten versucht.

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Michael Hauffen

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