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William Kentridge


Im Zusammenhang mit dem wachsenden Interesse, das Problemfeldern wie Postkolonialismus, Migration und Rassismus im Kunstsystem entgegengebracht wird, ist auch das Werk von William Kentridge in den letzten Jahren verschiedene Male ins Blickfeld getreten und hat sich auf Anhieb einen guten Platz erobert. Neben der Tatsache, daß dieser Künstler in Johannesburg lebt, und an den bekannten Konflikten der dortigen Gesellschaft seit seiner Kindheit unmittelbaren Anteil nimmt, spielt dabei die Bandbreite seiner Fertigkeiten eine Rolle, die von Theater über Malerei bis zum Animationsfilm reicht. All das trägt einen künstlerischen Prozeß, der um die drängenden Fragen kreist, die das Leben in Südafrika auch nach dem Ende eines staatlich legitimierten Rassismus bestimmen.

Gleich auf den ersten Blick fällt in seinen bildnerischen Arbeiten eine ungebrochene Orientierung am Expressionismus auf, die neben den Maßstäben der aktuellen Standards zweifellos anachronistisch und provinziell wirkt. Als Vorteil der Abgeschiedenheit südafrikanischer Kulturszenen läßt sich jedoch andererseits verbuchen, daß der expressive Stil nicht durch den Triumph eines zunehmend flacheren Neo-Expressionismus korrumpiert wurde. Die dortige Kunst, und deren Größen, die vorwiegend das Elend schwarzer Bevölkerungsgruppen thematisieren, taucht dagegen in unseren Breiten so gut wie nicht auf. Kentridge, der als weißer, westlich orientierter Intellektueller mit der international dominierenden Kriterien eine ganze Reihe von Einstellungen gemeinsam hat, bieten sich da schon mehr Anknüpfungsmöglichkeiten. Sein Werk ist dabei reich an Facetten und kann daher angesichts permanent drohender Erstarrung in den Schematismen avantgardistischer Kurzatmigkeit neue Anstöße provozieren.
Ein weiteres wesentliches Moment steigert die Anziehungskraft dieses Künstlers. Während er früh begonnen hat, sich auf verschiedene Drucktechniken zu konzentrieren, was unter anderem mit demokratischer Verkaufspolitik zu tun hat, wurden ihm die Vorzüge der Zeichnung gegenüber dem Gemälde auch in Hinblick auf deren direkteren Kontakt zur Wirklichkeit klar. Diese Eigenschaft nützt Kentridge sowohl bei seinen Porträts als auch bei der Wiedergabe von Landschaften, wobei ihm daran liegt, die Spuren von Gewalt und Leid, die sich darauf zwar abzeichnen, aber auch schon bald wieder verwischt werden, einzufangen. Einen weiteren Schritt von Verdichtung solcher jeweils nur kurz aufblitzender Zeichen unternahm er, indem er dazu überging, die Gegenstände zu animieren und für kurze Filme zu verwenden. Die Technik verbleibt dabei in relativer Nähe zu der des Zeichnens: Die Einzelbilder entstehen aus einer kleinen Anzahl großformatiger Papierskizzen, die durch Ausradieren und Überarbeiten nach und nach verändert und mit einer 16mm-Kamera aufgenommen werden.
Die Resultate stehen nun zusammen mit den originalen Kohlezeichnungen im Zentrum einer Reihe von Ausstellungen. Geboten werden insgesamt acht Animationsfilme von jeweils 3 bis 9 Minuten Länge, wobei zwei davon nicht nur über Monitore abgespielt, sondern im Rahmen von Rauminstallationen auf Großleinwände projiziert werden. Beginnend mit "Johannesburg, 2nd Greatest City After Paris" von 1989 drehen sich alle Filme um die Charaktere Soho Eckstein, einen mächtigen Unternehmer und Felix Teitlebaum einen sensiblen Müßiggänger, die als gespaltenes Alter Ego des Künstlers zu identifizieren sind.
Leicht läßt sich daraus seine Herkunft aus einer Familie litauisch-jüdischer Abstammung ablesen, wobei der eine Teil die privilegierte bürgerliche Stellung, der andere die Erfahrung von Exil und Verfolgung, aber auch eine kritisch aufgeklärte Haltung gegenüber dem Prinzip der Macht thematisiert.
Als klassische Subjekte ringen diese beiden um ihre Selbstständigkeit gegenüber einem objektiven Geschehen, in das sie vielfältig involviert sind. Weder der despotische noch der empfindsame Teil können diesen Raum verlassen, dessen Grenze durch den symbolischen oder materiellen Tod markiert ist.
Als Objekte des Begehrens fungieren neben den Schätzen, die die Erde und ein ausgebeutetes Reservoir von Arbeitern zu bieten haben, vor allem die Frau des Großunternehmers, in die der Sensible verliebt ist. Aber das Begehren macht hierbei nicht halt. Im Chaos seiner unbewußten Verflechtungen sind Objekte jeder Art nur Verdichtungszonen, die auf eine tiefere Schicht von Wunschproduktion verweisen. Gerade was diese Ebene unterschwelliger Strukturen betrifft, erweist sich die Technik animierter Zeichnungen als geeignetes Mittel der Darstellung. Ausgehend von der Auflösung von Bildern besetzter Objekte in Teile, die je fragmentierter, desto mehr Eigenleben entfalten, sind es vor allem permanente Metamorphosen, die die unruhige Prozeßhaftigkeit kognitiven Geschehens vergegenwärtigen. Das flüssige Element, seien es Ströme von Wasser, von Blut oder von Volksmassen, erlangt so die Geltung einer utopischen Dimension, die als Reich der Freiheit herbeigesehnt, aber nicht festgehalten werden kann.
Insofern der zwanghaft auf die Beherrschung und Unterdrückung des Objektiven gerichtete Trieb klassischer Männerphantasien als pathologisch beschrieben werden muß, bietet diese Form von Kunst, gründend auf subjektiver Sensibilität und gewappnet mit dem durchdringenden Blick des Analytikers, eine Art therapeutisches Potential, indem sie die Kontrollmechanismen disziplinierter Subjektivität und der ihr korrespondierenden symbolischen Ordnung außer Kraft setzt.
Die mehr psychologische Ebene bildet damit eine gute Basis für den subversiven Zugang zur historischen und politischen Ebene, da Kentridge als offensichtlich Involvierter in der Lage ist, ohne moralische Einseitigkeit die Geschichte seiner postkolonialen Umwelt kritisch zu reflektieren.
Die Entstehung der Animationsfilme läuft parallel zum Demokratisierungsprozeß der südafrikanischen Gesellschaft, der einen täglichen Kampf mit den Spuren vergangenen, und den Quellen aktuellen Terrors bedeutet. Daher bezieht sich beispielsweise "History of the Main Complaint" von 1996 beinahe selbstverständlich auf eine Reihe öffentlicher Anhörungen zu Menschenrechtsverletzungen, die aus dem Wunsch nach allgemeiner Wiedergutmachung abgehalten wurden. Der Film thematisiert das Verantwortungsgefühl eines Mannes, der Zeuge brutaler Gewalttaten an schwarzen Afrikanern wurde, und versucht hat, sich die Rolle des Unbeteiligten vorzulügen. Bei einem Krankenhausaufenthalt und einer Reihe von Durchleuchtungsmaßnahmen erkennt er die Korrespondenz zwischen anderen zugefügtem Schmerz und eigenen lebensfeindlichen Verhärtungen. Die Geschichte bildet damit ein eindrückliches Bild jener strukturellen Logik, die auf Phänomene wie Ausgrenzung von Minderheiten oder die Verdrängung von Verantwortung für die heutigen Folgen globaler Migration leicht zu übertragen ist.
Kentridges Ringen um Lösungen für eine prekäre Situation, hinsichtlich der sich Südafrika trotz seiner internationalen Randposition von unserer nur graduell unterscheidet, verweist immer auch auf die Komplexität von Lebensformen, innerhalb derer solche Lösungen gefunden werden müssen. Die seine läßt sich objektiv charakterisieren durch ein politisch liberales Engagement, das sich nach den harten Zeiten der Apartheid nun auf die Konsolidierung einer neuen Offenheit konzentriert. Vom privilegierten Standpunkt des intellektuellen Künstlers in dieser Richtung zu operieren, schließt wohl einige Widersprüchlichkeiten mit ein. Seine Leistung besteht darin, diese Inkohärenz sichtbar zu machen und sich ihrer Herausforderung ohne zynische Resignation zu stellen. Die darin implizierte Zurückweisung bequemer neokonservativer Konformität, die sich bei Kentridge auch darin ausdrückt, daß er der Verlockung zur Flucht in eine der abgeschotteten Künstlerkolonien bisher nicht nachgibt, könnte vielleicht auch andernorts dazu motivieren, eigene Souveränität weniger in symbolischer und räumlicher Exklusivität als vielmehr im Versuch intensiver Verarbeitung kontingenter Ereignisse zu suchen.

Zur Ausstellung ist ein englischsprachiger Katalog mit einem deutschsprachigen Beiheft erschienen, ISBN 90-74816-09-6, ca. 210 S., DM 58,-.

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Michael Hauffen

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